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06.06.2011 | 08:25 | EHEC-Krise 

Politiker und Mediziner kritisieren EHEC-Krisenmanagement

Berlin - Das Krisenmanagement von Politik und Wissenschaft angesichts weiter steigender EHEC-Fälle gerät immer mehr in die Kritik.

EHEC verdächtigt
(c) proplanta
«Auch über einen Monat nach Ausbruch der Seuche arbeiten Ministerien, Bundesbehörden, Bundesländer, Kliniken und Gesundheitsämter unkoordiniert nebeneinander her, ohne dass eine klare Linie erkennbar ist», teilte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, am Sonntag mit.

«Ich frage mich, was der Gesundheitsminister und die Verbraucherministerin eigentlich machen», sagte die grüne Bundestags-Fraktionschefin Renate Künast der «Berliner Zeitung» (Montag).

Die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Bärbel Höhn erhob ebenfalls schwere Vorwürfe: «Die Regierung hat diese Krise vollkommen unterschätzt und sich weggeduckt. Von den verantwortlichen Ministern war lange nichts zu hören», sagte sie der «Passauer Neuen Presse» (Montag). 

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) und Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) wollen sich diese Woche mit den zuständigen Länderministern beraten. Das am Mittwoch geplante Spitzentreffen bezeichnete Künast als «reine Show». Stattdessen brauche Deutschland einen nationalen Kontrollplan mit einer Checkliste möglicher Übertragungswege vom Bauern über die Verarbeitung bis zum Restaurant. Künast kritisierte, bislang würden weder die Suche nach den Infektionsquellen noch die Forschung bundesweit koordiniert.

Es wäre am Anfang viel aussichtsreicher gewesen, den Erreger schnell zu finden, sagte Höhn. «Diese Möglichkeit hat man verschenkt. Jetzt wird es ungleich schwerer.» Sie forderte eine bessere Koordinierung der Lebensmittelkontrollen. «Das hätten im Fall von EHEC der Bundesgesundheitsminister oder die Bundesverbraucherschutzministerin übernehmen müssen. Jeder hat die Verantwortung auf den anderen abgeschoben. Das hat die Probleme noch vergrößert.»

Der für Gesundheit und Verbraucherschutz zuständige stellvertretende Unions-Fraktionschef Johannes Singhammer (CSU) brachte ein Prüfsiegel für Gemüse ins Gespräch, um weitere wirtschaftliche Verluste bei deutschen Erzeugern durch die EHEC-Krise zu unterbinden. «Allerdings müsste die Wissenschaft dafür grünes Licht geben», sagte er der «Saarbrücker Zeitung» (Montag). Es gehe ja nicht nur um die Erzeugung der Produkte. «Eine Verseuchung könnte auch über den Vertriebsweg erfolgen. Auch darüber wissen wir leider noch zu wenig", so der CSU-Politiker.

Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, Reinhard Brunkhorst, sagte der «Ärzte Zeitung» (Neu-Isenburg/Montag), es sei nicht sinnvoll, in einer solchen Situation mit landesbezogenen Gesundheitsbehörden und -ämtern zu arbeiten. Er schlug für Ausnahmefälle wie der gegenwärtigen Epidemie eine einheitliche Struktur in Händen des Robert Koch-Instituts (RKI) vor.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) verteidigte hingegen die Arbeit der Regierung und der zuständigen Stellen: «Ich sehe derzeit keinen Hinweis darauf, dass die Systeme und Regeln, die wir haben, nicht funktionieren», sagte er bei einem Besuch im Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) am Sonntag. Bund, Länder und das RKI arbeiten seiner Ansicht nach sehr gut zusammen.

Der Ärztliche Direktor der Berliner Charité, Ulrich Frei, bemängelte, das Universitätsklinikum habe erst in der vergangenen Woche EHEC-Fragebögen vom RKI für die Patienten bekommen. «Das reicht nicht. Man hätte die Patienten interviewen sollen», sagte er dem «Tagesspiegel». Es sei zudem nicht erkennbar, was das RKI erarbeite. «Wir brauchen eine bessere Informationspolitik.»

Eine RKI-Sprecherin wies im «Tagesspiegel» die Vorwürfe zurück. Das Institut habe nach Ausbruch des Darmkeims zügig reagiert.

«Dass die Grünen sich nun selbst den Ehec-Erreger zunutze machen wollen, um ein parteipolitisches Süppchen zu kochen, ist mehr als unanständig», sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindnerer «Handelsblatt Online».

Der Leiter des Fachbereichs Gesundheit und Ernährung beim vzbv, Stefan Etgeton, kritisierte das Verhalten Niedersachsens. «Es ist ein bisschen unglücklich, wenn einzelne Landesminister dann vorpreschen mit Befunden», sagte er im Deutschlandfunk. Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) hatte am Sonntag die Öffentlichkeit informiert, dass Sprossengemüse aus einem Biohof im Kreis Uelzen möglicherweise mit dem aggressiven Darmkeim verseucht sein könnte. Dabei stützte er sich auf Indizien. «Ich hätte mir gewünscht, die Information wäre vom Robert-Koch-Institut ausgegangen», sagte Etgeton. Es sei wichtig, dass Dinge gemeinsam kommuniziert und eingeordnet würden. Das Bundesverbraucherministerium verteidigte das Vorgehen Niedersachsens. Die Anzahl der Indizien habe eine öffentliche Warnung erforderlich gemacht, sagte ein Sprecher in Berlin.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte der in Berlin erscheinenden «BZ am Sonntag»: «Die Aufklärung der Bevölkerung ist nicht ausreichend und muss dringend optimiert werden.» Es gebe beispielsweise «keine verbindliche Übersicht», wo genau in Deutschland neue Verdachtsfälle mit welchem Schweregrad auftreten.

Kritik kam auch aus dem Ausland. Tschechiens Agrarminister Ivan Fuksa sagte im Fernsehen, der Fluss von Information sei zu langsam. «Bei den Deutschen kann das mitunter fünf Tage dauern», sagte Fuksa. Er wolle sich in Brüssel für eine Beschleunigung der EU-weiten Warnmeldungen einsetzen.

Von dem an diesem Mittwoch anberaumten EHEC-Krisengipfel erhofft sich Singhammer zwei konkrete Ergebnisse: Zum einen müsse sich die Runde darauf verständigen, «alle Kapazitäten in Bund und Ländern auf die Erforschung des Bakteriums zu konzentrieren»; zum anderen müssten «Wege gefunden werden, um deutschen Gemüse-Erzeugern wieder einen Absatzmarkt zu eröffnen». Die SPD-Forderung nach einem zentralen Krisenstab im Gesundheitsministerium hält Singhammer für unbegründet. Sowohl Gesundheitsminister als auch Verbraucherschutzministerin arbeiteten eng mit allen zuständigen Behörden in Bund und Ländern zusammen. «Mehr Koordinierung geht nicht.» (dpa)
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