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16.10.2021 | 02:10 | Trend zur Einkapselung 

Wieso macht die Zukunft vielen Deutschen Angst?

Köln - Zwei Drittel der Deutschen blicken einer Studie zufolge ängstlich in die Zukunft. Mangelndes Vertrauen in Staat und Institutionen fördert demnach einen Rückzug ins Private.

Einkapselung
Die Corona-Pandemie hat bei den Deutschen einen Rückzug ins Private befördert. Eine tiefenpsychologische Studie sieht aber auch Hoffnungszeichen für einen gesellschaftlichen Aufbruch. Vor allem bei den Jungen - die jetzt ihre Eltern erziehen. (c) Benjamin Thorn - fotolia.com
Gleichzeitig wachse bei einem Teil der Bevölkerung aber auch die Bereitschaft, allein oder mit Gleichgesinnten für eine lebenswerte Zukunft aktiv zu werden. Das sind Erkenntnisse einer repräsentativen und tiefenpsychologischen Untersuchung des Kölner Rheingold-Instituts in Zusammenarbeit mit der Stiftung für Philosophie Identity Foundation in Düsseldorf.

Schwere Krisen hätten das Vertrauen in die Zukunft fundamental erschüttert, sagte Rheingold-Gründer Stephan Grünewald am Donnerstag in Köln. Die größten Zukunftsängste betreffen demnach den Klimawandel und die fortschreitende Polarisierung der Gesellschaft.

Eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger erkenne durchaus an, dass die Menschheit vor gewaltigen Herausforderungen stehe. Der Problemberg werde allerdings als so unüberwindlich wahrgenommen, dass man sich resigniert ins eigene Schneckenhaus zurückziehe. «Uns begegnete eine Art Zukunftsvakuum», sagte Grünewald. «Die Menschen denken nicht mehr in globalen Dimensionen. Sie denken nicht in europäischen Kategorien. Sie interessiert: Was ist hier und jetzt mit mir los?»

Eine auffallende Veränderung im Rahmen dieser neuen Selbstbezüglichkeit sei, dass das einstige Kontaktmaximierungsideal - möglichst viele Freunde in den sozialen Netzwerken - in den Hintergrund rücke. «Die Menschen haben angefangen, sich zu fragen: Mit wem will ich mich überhaupt verbinden? Wem kann ich vertrauen?

Das heißt, die Menschen haben in der Corona-Zeit nicht nur ihre Kleiderschränke sortiert, sondern sie haben ihre Sozialbezüge auch neu geordnet. Und viele sogenannte Freunde sind sinnbildlich in der Altkleidersammlung verschwunden.»

Dabei unterscheidet der Psychologe und Bestsellerautor («Deutschland auf der Couch») sechs Zukunftstypen: Am einen Ende des Spektrums steht für ihn der Eingekapselte, der sich gegen die Außenwelt abschottet. Der nächste Typ ist der Familiäre. Für ihn sind die wichtigen Fragen: Was wird aus meinen Kindern, wie kann ich die Bildung finanzieren? Der dritte Typ sind die Selbst-Ermächtiger. «Da haben wir einen ganz hohen Ich-Bezug. Die setzen auf ihre Erfolge, auf ihre Karriere und blenden alles andere aus. Hier finden wir viele FDP-Wähler - gerade bei den jungen Leuten.»

Typ vier sind die Tribalisten: Gleichgesinnte, die sich zusammentun und gemeinsam für etwas einstehen und dadurch das Gefühl haben, etwas bewegen zu können. Die Fortschritts-Illusionisten - Typ fünf - leben tendenziell in Wohlstand und wollen ihr Leben genießen. Sie delegieren ihre Sorgen an andere, setzen etwa darauf, dass technologischer Fortschritt das Klimaproblem lösen wird.

Die letzte Gruppe sind die Missionierenden. «Hier finden wir vor allen Dingen Menschen der jüngeren Generation. Die fokussieren sich auf ein Thema und haben das Gefühl: Wenn ich dieses Thema in den Griff kriege, dann kriege ich das Ganze in den Griff.» Zu den Themen gehören etwa der Klimaschutz, Ernährung (Veganismus), Mobilität und Sprache (Gendern).

Hier setzt für Grünewald gleichsam eine «Verkehrung des Erziehungsideals» ein: Heute könne man den Eindruck bekommen, dass die Kinder und Jugendlichen ihre Eltern erzögen. Zum Beispiel bei der Frage: Was kommt bei uns auf den Tisch? In welche Länder kann man noch in den Urlaub fahren und mit welchen Verkehrsmitteln? Und wie muss man sich sprachlich ausdrücken?

Es zeige sich hier aber auch eine hoffnungsstiftende Graswurzel-Mentalität: Viele entwickelten das Gefühl, selbst etwas Sinnvolles zu einer besseren Welt beitragen zu können. Ein Beispiel dafür sei die große Hilfsbereitschaft nach der Flutkatastrophe: Hier sei völlig klar gewesen, was man konkret tun könne, um die Lage zu verbessern - im Gegensatz zu anderen, komplexeren Problemlagen.

«Wir erleben eine Zeitenwende», bilanziert Grünewald. Dabei sei noch offen, ob sich letztlich die Tendenzen zum Rückzug ins Private durchsetzen würden oder die Kräfte des gesellschaftlichen Aufbruchs. Dass die vielen kleinen Pflänzchen des persönlichen Engagements zu einer breiten gesellschaftlichen Strömung zusammenwachsen könnten, sei die große Hoffnung eines ansonsten eher ernüchternden Bildes.
dpa
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