Nobeljuror: Der Nutzen der Nobel-Forschung ist gigantisch
Die Nobelpreisträger nutzen die Kraft der Evolution für eine grünere Chemie. Ein Jurymitglied erklärt, welche Folgen ihre Arbeit für unser Leben hat. Und was intelligentes Raten und Zufall damit zu tun haben.
Stockholm - Krebstherapien,
Biokraftstoffe und die umsatzstärksten Medikamente: Die Entdeckungen der diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger werden bereits vielerorts eingesetzt. Ihre Arbeit repräsentiere perfekt Alfred Nobels letzten Willen, sagte Nobeljuror Heiner Linke der Deutschen Presse-Agentur.
Frage:
Sich in die Evolution einmischen, das hört sich fast gefährlich an.Antwort: Die
Preisträger mischen sich nicht in die Evolution ein, die in der Natur passiert. Sondern sie lernen von der Natur, wie Evolution funktioniert und wenden das in einer künstlichen Umgebung im Labor an. Es geht dabei nicht um modifizierte Organismen, wie man vielleicht befürchten könnte, sondern um modifizierte Moleküle, bessere Proteine. Um einen Organismus zu verbessern, müssten Zehntausende solcher Proteine zusammenpassen.
Frage:
Was hat Sie an der Forschung fasziniert?Antwort: Frances Arnolds Erkenntnis, dass menschliches Verständnis und technologische Berechnungen nicht genug sind, um zu imitieren, was Evolution tut. Ein Enzym ist ein sehr komplexes Molekül aus tausenden Atomen. Noch immer können wir nicht vorhersagen, was passiert, wenn man hier oder da etwas verändert. Arnold hat demütig einen Schritt zurück gemacht und intelligentes Raten mit vielen zufälligen Veränderungen kombiniert. Sie hat gezeigt, wie mächtig Evolution wirklich ist.
Frage:
Das heißt, man muss einfach Glück haben?Antwort: Glück spielt eine Rolle. Es ist eine Kombination kluger Entscheidungen, bei denen es auf intellektuelles Verständnis ankommt und ein wenig auf Glück.
Frage:
Wie kann man die Erkenntnisse der Preisträger anwenden?Antwort: Der Preis repräsentiert sehr gut, was Alfred Nobel wollte: diejenigen auszeichnen, die der Menschheit am meisten nutzen. Hier gibt es so viele Anwendungen: Es ist ein grüner Preis, weil man beispielsweise bei der Herstellung von Plastik giftige Zutaten und
Schwermetalle durch biologische Moleküle ersetzen kann.
Man kann Zucker aus Pflanzen effizient umwandeln und so Biokraftstoffe für Autos und Flugzeuge herstellen. Das wird möglich durch Frances Arnolds Entdeckung. Die Arbeit von Smith und Winter wird zum Beispiel in der Immuntherapie gegen Krebs genutzt. 11 der 15 weltweit umsatzstärksten Medikamente wurden mit dieser Technik hergestellt. Die Auswirkungen sind gigantisch.
Zur Person: Heiner Linke ist Mitglied der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften und gehörte dem Komitee an, das den Nobelpreisträger für Chemie ausgewählt hat. Der Deutsche ist Professor für Nanophysik an der Universität Lund.