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08.09.2023 | 06:05 | Genforschung 

Die Genschneider - 80 Jahre Genforschung aus Sachsen-Anhalt

Gatersleben - Bei minus 18 Grad lagern die Hoffnungen für die Ernährung der Weltbevölkerung in handelsüblichen Einmachgläsern.

Genforschung
Wie können Weizen oder Gerste robuster für den Klimawandel gemacht werden? In dem kleinen Ort Gatersleben in Sachsen-Anhalt sitzt eines der führenden Institute für Genforschung in Europa. In 80 Jahren hat sich der Auftrag verändert. (c) sebastianreuter - fotolia.com
Randvoll mit Samen von Weizen, Gerste und Roggen reihen sich die Gläser in den Regalen. Manche der Samen wurden bereits vor mehr als 100 Jahren gesammelt. «Es geht nicht darum, einzelne Pflanzen zu erhalten», sagt Andreas Graner, seit 2007 Geschäftsführender Direktor des Forschungsinstituts, sondern um die Bandbreite. «Die genetische Vielfalt ist der Hefeteig, aus dem wir neuen Kuchen backen.» Also neue Züchtungen verbesserter Pflanzen.

Eines der wichtigsten Zentren für Pflanzenforschung in Europa liegt nicht an einer Universität in einer der großen Hauptstädte, sondern am Rande des Harzes in Sachsen-Anhalt. Seit 80 Jahren forschen Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) daran, die genetischen Baupläne unter anderem von Getreide, aber auch von Hülsenfrüchten wie Ackerbohnen, zu entschlüsseln. Und dadurch etwa die Blaupause zu liefern für Pflanzen, die besser auf den Klimawandel eingestellt sind.

«Wenn man ein Haus bewohnt und das um fünf Meter verlängern will, dann braucht man den Bauplan, nur dann kann man das Haus verändern, sonst bricht es zusammen», sagt Graner. Durch seine langjährige Arbeit als Geschäftsführender Direktor kennt er sich aus damit, die komplizierte Gentechnik bildlich für Laien zu beschreiben.

Eines seiner Lieblingsbilder: «Wenn Sie zwei Pflanzen miteinander kreuzen, dann werfen Sie deren 30.000 Gene wie Spielkarten in die Luft, die fallen auf den Boden und müssen anschließend in der richtigen Anordnung wieder zusammengebastelt werden», sagt Graner. «Das ist ein unglaublich zufallsgetriebener Prozess.» Mit neueren Methoden, wie der Genschere Crispr Cas, sei es aber möglich, gezielt einzelne Karten aus dem Stapel herauszunehmen und in einen anderen Stapel einzubauen. «Dafür müssen Sie die Karten und ihre Reihenfolge kennen», sagt Graner. «Und wir kennen momentan nur etwa fünf Prozent aus dem Kartendeck.»

Das bleibt und blieb in der Geschichte des Instituts nicht ohne Kritik. Im Frühjahr 2008, Graner ist gerade zum Leiter des Instituts aufgestiegen, brechen radikale Gentechnik-Gegner in das Institut ein und zerstören einen Feldversuch mit gentechnisch verändertem Weizen.

Denn Gentechnik ist umstritten. Im Juli hat die EU-Kommission einen Gesetzvorschlag zur Neuregulierung von Pflanzen vorgestellt, die mithilfe neuer Gentechnik erzeugt wurden. Demnach soll ein Großteil dieser Pflanzen wie konventionell gezüchtete Pflanzen behandelt werden. Während die Forscher aus Gatersleben hoffen, dass das neue Gesetz bald umgesetzt wird, gibt es aber auch Kritik. Kurz nach Bekanntgabe der EU-Pläne protestierten vor wenigen Wochen Bauern, Verbraucherschützer und Umweltverbände vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium.

Man wisse noch zu wenig über die Folgen von neuen Gentechniken, sagte etwa Daniela Wannemacher vom Bund für Umwelt und Naturschutz. Die Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit befürchtet, dass durch die Reregulierung die genetische und biologische Vielfalt sogar gefährdet werde. Für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft ist auch mit den neuen Gentechnik-Pflanzen die Klima- und Hungerkrise nicht lösbar.

Für Institutsleiter Graner ist der Weg jedoch klar: «Man muss zwischen Wunschdenken und der Realität ganz klar differenzieren.» Allein Deutschland habe einen Bedarf an landwirtschaftlicher Nutzfläche, der doppelt so groß sei wie die Fläche, die tatsächlich zur Verfügung stehe.

«Die Ressourcen und die landwirtschaftliche Nutzfläche werden knapper, der Bedarf an Nahrung dagegen immer größer», sagt Nicolaus von Wirén. Er übernimmt ab Oktober, also kurz nach dem Jubiläum, die Leitung des Instituts. Pflanzen müssten mehr Ertrag bringen, gleichzeitig aber mit weniger Wasser zurechtkommen, sich auf andere Temperaturen einstellen. «Da darf Gentechnik nicht länger pauschal ausgeschlossen werden.»

Gentechnik ist Hightech. Während der Priester Gregor Mendel, der als der Begründer der Vererbungslehre gilt, in den 1860er Jahren einzelne Pflanzen miteinander kreuzte, fliegen heute Drohnen über Felder, werden Blätter mit hochauflösender MRT-Technik seziert, um so den Bauplan der Gene zu entschlüsseln. Auf den Feldern rings um den kleinen Ort Gatersleben stehen die Pflanzen in der Natur und in großen Gewächshäusern. Kleine Quadrate und Rechtecke, wie ein Schachbrettmuster verteilen sich um den Ort.

1943 wurde das Institut in Wien gegründet, 1948 in die Akademie der Wissenschaften der DDR eingegliedert und 1992 als IPK neu gegründet. Mehr als 550 Mitarbeiter sind hier tätig, davon alleine mehr als 200 wissenschaftliche Mitarbeiter. Die Genbank ist das einzigartige Herzstück des Instituts. Mehr als 151.000 «Muster» von Kulturpflanzen liegen als Saatgut in den Kühlräumen der Genbank. So bleibt es über Jahrzehnte erhalten. Neues Material wird als Sicherheitsduplikat auch im internationalen Saatguttresor auf Spitzbergen eingelagert.
dpa/sa
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