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23.10.2019 | 00:04 | Bauerninitiative 

Über 5.000 Bauern protestieren gegen Agrarpolitik

Bonn - Mit Hunderten Traktoren und kilometerlangen Konvois haben Bauern am Dienstag in vielen Regionen Deutschlands den Verkehr blockiert, um gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung zu protestieren.

Bauern protestieren gegen Agrarpolitik
Während sie selbst auf den Feldern schwitzen, erlasse die Politik in klimatisierten Büros fragwürdige Regeln für ihre Arbeit: Viele Bauern hierzulande sind unzufrieden - und kommen in die Stadt, um das zu zeigen. (c) proplanta
Bei der zentralen Kundgebung in Bonn versammelten sich rund 6.000 Teilnehmer, erwartet wurden bis zu 10.000. Ein Trecker-Konvoi dorthin war zehn Kilometer lang, wie die Polizei berichtete. Die Landwirte protestierten vor allem gegen strengere Regeln zum Umwelt- und Insektenschutz, weil sie dadurch ihre Existenz bedroht sehen. Auch in München, Hannover, Stuttgart und vielen anderen Städten versammelten sich Bauern mit ihren Treckern.

«Unsere Existenz ist bedroht», sagte Eva-Maria Dingwerth von einem Familienbetrieb aus der Nähe von Osnabrück, die mit etlichen Kollegen auf den Bonner Münsterplatz kam. Ihr Familienbetrieb baut Obst und Spargel an - was mit strengeren Vorgaben fürs Düngen deutlich schwieriger werde. Auch die Bürokratie nehme immer weiter zu, so dass sie sich kaum noch auf die eigentliche Arbeit konzentrieren könne.

Die Traktoren sorgten in den Großstädten für viel Aufsehen. Von Bürgersteigen und Straßenbahnen aus filmten Schaulustige die Konvois. Weil Traktoren maximal Tempo 50 fahren dürfen, waren manche Bauern schon mitten in der Nacht nach Bonn aufgebrochen. Trotzdem reichte am Vormittag die Energie noch zum Blinken, Hupen und um heimische Äpfel an Passanten zu verteilen.

Der Trend in der Landwirtschaft geht zu weniger, aber dafür größeren Betrieben. Eines von vielen Problemen ist, dass die Preise für Milch, Fleisch und andere Lebensmittel niedrig sind. Was die Supermarkt-Kunden freut, kann für Landwirte existenzbedrohend sein. Diese wehren sich deshalb auch dagegen, dass globale Handelsabkommen wie etwa Mercosur dafür sorgen, dass immer mehr Agrarprodukte importiert werden. «Der Verbraucher gibt mit seinem Konsum die Richtung vor», sagte der Rinderzüchter Reinhard Mosler. «Wir wollen ja nichts produzieren, was nicht gewollt ist.»

«So wie bisher geht es nicht weiter», rief einer der Organisatoren zu Beginn der Kundgebung in Bonn. «Die Lösung kann nur sein, dass wieder mit uns geredet wird.» Aufgerufen zum Protest hat das noch recht junge Netzwerk «Land schafft Verbindung», in dem sich Zehntausende deutsche Landwirte zusammengeschlossen haben.

Es waren vor allem Männer mittleren Alters, die in Bonn und etlichen anderen deutschen Städten ihrem Ärger Luft machten. Doch auch Thorben, Ben und ihre Freunde, alle 12 bis 14, begleiteten ihre Väter aus dem westfälischen Ochtrup nach Bonn. «Tuesdays for Farmers» steht auf einem ihrer Schilder - ähnlich wie «Fridays for Future» bei Mitschülern, die für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen. «Wir wollen für die Zukunft der Landwirte protestieren. Die Politiker sollten nicht weggucken», sagte einer der Jungs.

Die, die nicht weggucken sollen, sind allen voran Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Eineinhalb Jahre stritten beide, bevor das «Agrarpaket» mit Glyphosat-Ausstieg, mehr Schutz für Insekten und ein neues Tierwohl-Kennzeichen geschnürt war. Dazu kamen neue Auflagen, um das Grundwasser vor zu viel Nitrat durch Überdüngung zu schützen. Ein Prozess, in dem viele Bauern sich ungehört fühlen.

Klöckner und ihre Union bemühten sich am Donnerstag gleich mehrfach, sich solidarisch mit den rund 268.000 Landwirtschaftsbetrieben in Deutschland zu zeigen. Klöckner sagte, sie könne nachempfinden, wie es den Bauern gehe, und es sei gut, wenn sie von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machten. Es gebe in der Gesellschaft zu wenig Wissen darüber, wie Lebensmittel produziert werden, aber Verbraucher entschieden mit ihren Kaufentscheidungen mit darüber, was und wie produziert werde. Die Unionsfraktion im Bundestag wollte am Dienstag ein Positionspapier beschließen, in dessen Entwurf einiges vorkam, was den protestierenden Bauern auf der Seele brennt - unter anderem der Appell, auf Anreize und Freiwilligkeit zu setzen statt auf strenge Auflagen und Sanktionen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Klöckner kündigten in der Sitzung der Unionsfraktion am Dienstag einen Landwirtschaftskongress und Gespräche mit Landwirten an. Es gehe um Wertschätzung, aber auch darum, die Wünsche und Erwartungen der Gesellschaft auch in der Landwirtschaft abzubilden, so Klöckner.

Umweltministerin Schulze zeigte sich zurückhaltender. Sie wies stattdessen auf die dramatisch sinkende Zahl der Feldvögel hin und forderte besseren Insektenschutz in der Agrarlandschaft - denn der helfe auch den Vögeln. «Wir wollen ja auch die Umwelt schützen», sagte Landwirtin Dingwerth derweil in Bonn. «Aber eben so, dass wir dabei übrig bleiben.»

Nach der Aktion in Bonn verstreuten sich die rund 6.000 protestierenden Landwirte wieder in alle Himmelsrichtungen. «Das war jetzt der ganze Bauernzauber?», wunderte sich eine ältere Dame in einem angrenzenden Café am Münsterplatz. «So viel Aufwand für zwei Stunden?» Zumindest an den Traktoren-Konvois, die selbst die Polizei als «sehr beeindruckend» bezeichnete, durfte Bonn sich - wie viele andere Städte - noch einige Stunden länger erfreuen.

Der Protest am Dienstag war Teil eines bundesweiten Aktionstags der Bauerninitiative «Land schafft Verbindung», der sich binnen kurzer Zeit Zehntausende Landwirte anschlossen.

Die Kritik richtet sich gegen von der Bundesregierung geplante Einschränkungen beim Ausfahren von Gülle und dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Zu Verkehrsbehinderungen kam es teils, als Landwirte sich auch in Stade, Lüneburg, Uelzen sowie Lüchow und Dannenberg zu Protesten einfanden. Auch zur bundesweiten Zentralkundgebung in Bonn brachen Landwirte aus Niedersachsen auf.

In Hannover sprachen Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) und Umweltminister Olaf Lies (SPD) zu den Demonstranten. «Wir werden nicht ohne Veränderungen auskommen», betonte Lies. «Wir wollen Sie nicht alleine verantwortlich machen.» Auch Otte-Kinast schwor die Bauern auf Veränderungen ein. «Die Lösung in Sachen Klimaschutz liegt auf euren Höfen.» Nötig sei ein gesellschaftlicher Konsens und Unterstützung für die Landwirte, wenn mehr Umweltschutz durchgesetzt werden solle. Die EU-Kommission hatte die Bundesregierung Ende Juli ermahnt, mehr gegen die Verunreinigung des Grundwassers mit Nitrat zu unternehmen. Gelingt das nicht, drohen Deutschland Geldstrafen in Millionenhöhe.

Was die Landwirte fordern: Redet mit uns und nicht über uns, hieß es auf vielen Transparenten an den Traktoren in Oldenburg, Lüneburg und auf den Landstraßen. Belastbare Daten seien nötig vor einschneidenden Maßnahmen, die die Landwirtsfamilien belasteten. Ihre Zukunft stehe auf dem Spiel, geplante Einschränkungen seien widersinnig und willkürlich, zudem bemühten Landwirte sich bereits um besseres Grundwasser. «Respekt» stand schlicht auf einem Transparent. Viele Landwirte beklagten, dass ihnen im Zuge der Klimadebatte jeder Laie vorschreiben wolle, was die Bauern alles besser machen müssen.

Was sind die Probleme in Niedersachsen: Vor allem geht es um die Belastung des Grundwassers und deswegen im Raum stehende weitere Einschränkungen für das Ausfahren von Gülle. 2009 seien gefährdete Gebiete ausgewiesen worden, zehn Jahre später zeige sich, dass die Ziele zur Verbesserung der Wasserqualität nicht erreicht worden seien, sagte Lies. Die Landwirte sehen sich nicht allein in der Verantwortung, auch marode Kläranlagen sorgen für Belastung. Auch zweifeln manche die Messverfahren und die Datengrundlage an, auf deren Basis die Wasserqualität ermittelt wird.

Warum kommen so viele Einschränkungen auf einmal auf die Landwirte zu? «Wir handeln leider erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist», meinte Lies. Deutschland habe die Problematik jahrelang verschlafen, die EU droht nun mit hohen Strafzahlungen. «Andere Länder haben vor Jahren gehandelt», sagte Otte-Kinast. «Leute, die zeigen auch mit dem Finger auf uns», meinte sie an die Adresse demonstrierender Landwirte.

Wie reagiert die Landespolitik auf die Bauernproteste? Politiker unterschiedlicher Couleur beschwören die Bedeutung der Landwirtschaft für Niedersachsen, wollen die Bauern unterstützen und den Dialog suchen. Von einem «Agrarkonsens» (Miriam Staudte, Grüne), oder einem «Gesellschaftsvertrag» (Otte-Kinast, Lies) ist die Rede. «Die Landwirtschaft kann es nicht alleine ausbaden», meinte die Agrarministerin. Pauschale Einschränkungen, die aus Berlin drohen, seien nicht in Ordnung, meinte Lies. «Wir werden den Druck weiter erhöhen in Berlin», versprach Otte-Kinast.

Und konkret? Anders als in den Niederlanden, wo etwa die Provinz Drenthe Einschränkungen für das Düngen mit Gülle unter dem Eindruck massiver Bauernproteste wieder zurücknahm, fuhren Niedersachsens Landwirte ohne konkrete Zusagen wieder nach Hause. Messstellen müssten hinterfragt werden, sagte lediglich die Agrarministerin.

Was meinen dazu die Bauern? Obwohl es Applaus und Respekt für die Politiker gab, kochten beim manchem die Emotionen hoch: «Schnauze», «Lügner» und «träum weiter», hallte es Lies bei seiner Rede entgegen. Als Otte-Kinast redete, fasste ein Landwirt für sich halblaut die Lage zusammen: «Landwirtschaft hieß lange, ihr müsst mehr und billiger, und jetzt gibt es plötzlich eine 180-Grad-Wende.»
dpa/lni
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