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11.12.2020 | 04:03 | Deal oder No Deal 

Brexit: Letzte Frist für Einigung bis Sonntag?

Brüssel/London - Noch läuft die letzte Frist für die Verhandlungen, doch die Europäische Union rüstet sich vorsorglich für ein Scheitern des erhofften Brexit-Handelspakts mit Großbritannien.

Brexit-Anschlussabkommen
Drei Stunden dinieren EU-Kommissionschefin von der Leyen und der britische Premier Johnson. Danach geben sie erneut bekannt: Sie sind sich einig, nicht einig zu sein. Ein paar Tage geben sie sich noch. Aber die EU sorgt vor. (c) proplanta
Um das befürchtete Chaos zur Jahreswende abzumildern, schlug EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mehrere Notmaßnahmen für einen No-Deal-Brexit vor. Es geht unter anderem darum, Flug- und Straßenverkehr sowie die Fischerei aufrechtzuerhalten. Die Zeit für eine Lösung ist kurz: «Wir werden am Sonntag eine Entscheidung treffen», sagte von der Leyen am Donnerstag in Brüssel.

Am Vorabend hatte die Kommissionschefin bei einem Abendessen rund drei Stunden mit dem britischen Premierminister Boris Johnson verhandelt. Danach betonten beide Seiten die offene Atmosphäre, machten aber deutlich, dass die Unterschiede noch immer sehr groß seien. Die Knackpunkte haben sich seit Monaten nicht geändert: Es geht um Fischerei, fairen Wettbewerb und die Frage, wie die Vereinbarungen im Streitfall rechtlich durchgesetzt werden. Bis zum Sonntag sollen die Verhandlungsteams in Brüssel weiter versuchen, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

Aus London hieß es, es sei nicht ausgeschlossen, dass die Gespräche auch danach fortgesetzt würden. Es sei aber wichtig, «Endgültigkeit» zu haben, sagte Außenminister Dominic Raab der BBC. «Es hängt von den Fortschritten ab, die bis dahin gemacht werden.» Die gesetzte Frist solle «helfen, die Gedanken zu fokussieren».

Beachtung fand vor allem das Menü, das von der Leyen ihrem Gast servieren ließ. Beobachter werteten es als deutliche Anspielung auf die Verhandlungen. Im Mittelpunkt: Fisch. Gedünsteter Steinbutt zum Hauptgang, zuvor Jakobsmuscheln - um die noch vor knapp zwei Jahren ein heftiger Streit zwischen französischen und britischen Fischern im Ärmelkanal tobte. Es war damals so schlimm, dass die Marine ausrückte, britische Medien schrieben vom «Jakobsmuschel-Krieg».

Und auch beim Nachtisch wurden Beobachter fündig: Pavlova - eine mit Früchten gefüllte Sahnetorte - gilt als australisches Nationalgericht. Downing Street hatte oft betont, das Vereinigte Königreich werde im Falle eines No Deals zu «australischen Konditionen» mit der EU Handel treiben - gemeint sind letztlich die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO).

Großbritannien hat die EU Ende Januar verlassen. Ohne Vertrag drohen vom 1. Januar an Zölle, lange Staus und andere Handelshürden. Denn am 31. Dezember endet die Brexit-Übergangsfrist, und Großbritannien scheidet aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus. Auf einen solchen Fall stellt sich die EU-Kommission nun ein. «Wir müssen vorbereitet sein - auch darauf, dass am 1. Januar kein Vertrag in Kraft ist», sagte von der Leyen.

Für den Fall des Scheiterns sehen die von der EU vorgelegten Notmaßnahmen vor, bestimmte Flugverbindungen zwischen Großbritannien und der EU für sechs Monate aufrechtzuerhalten - basierend auf Gegenseitigkeit. Auch für die Anerkennung von Sicherheitszertifikaten für Flugzeuge soll es eine Übergangsregel geben, damit diese nicht in der EU stillgelegt werden müssen. Eine ähnliche Regelung auf Gegenseitigkeit soll es geben, um Frachttransporte und Busverkehr am Laufen zu halten, ebenfalls für sechs Monate.

Für das politisch sehr umstrittene Thema Fischerei schlägt die EU-Kommission einen Rechtsrahmen vor, der bis zum 31. Dezember 2021 gelten soll - oder bis zu einem Fischereiabkommen mit Großbritannien. Diese Vereinbarung soll den Zugang von britischen Fischkuttern in EU-Gewässer regeln und umgekehrt. Die Kommission kündigte an, eng mit dem Europaparlament und dem Ministerrat zusammenzuarbeiten, um die Regelungen noch vor dem 1. Januar 2021 in Kraft zu setzen.

Beide Seiten betonen aber, dass ein Grundsatzabkommen nach wie vor möglich sei. Der irische Außenministers Simon Coveney sagte dem irischen Sender RTÉ, die EU stelle keine «unangemessenen» Forderungen. Sie wolle «die engste mögliche Beziehung mit Großbritannien und freien und fairen Handel».

Falls es doch noch zu einem Vertrag kommt, wäre das britische Parlament bereit, ihn noch dieses Jahr zu verabschieden, sagte der Sprecher des Unterhauses, Lindsay Hoyle. Der letzte planmäßige Sitzungstag sei der 21. Dezember. «Aber wenn es sein muss, (...) können wir sogar bis Heiligabend tagen», sagte Hoyle dem Sender Sky News. Wie die Zeitung «The Sun» berichtete, ist auch eine Tagung zwischen Weihnachten und Silvester nicht ausgeschlossen. Eine Sitzung an Weihnachten wäre demnach die erste an den Feiertagen seit 1656.
dpa
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