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16.03.2015 | 00:02 | Agrarsubventionen 
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Direktzahlungen: Nur Almosen für die bäuerliche Landwirtschaft?

Stuttgart/Hohenheim - Die Proplanta Interview-Serie erörtert in der vierten Folge die Diskrepanz zwischen EU-Gesetzgebung und der Freiheit nationaler Umsetzung.

Ulrich Jasper (ABL)
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Ulrich Jasper von der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL) im Interview mit Proplanta. (c) Jasper
In dieser Folge haben wir das Gespräch mit Ulrich Jasper von der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft geführt. Sein Anliegen: Die nationalen Entscheidungsbefugnisse über die Verteilung der Agrar-Direktzahlungen richtig einordnen.

Wie stehen Sie persönlich zu den Direktzahlungen?

Die Direktzahlungen in der EU sind Fakt, mindestens bis zum Jahr 2020. Für Deutschland stellt die EU dafür nun über 4,5 Milliarden Euro pro Jahr bereit, etwas weniger als in den letzten Jahren. Aber was sagt diese Summe aus? Wer profitiert und welche Betriebe und Wirtschaftsweisen haben kaum was davon? Und könnte man es auch anders einsetzen, dieses viele Geld? Das sind doch die eigentlichen Fragen.

Diejenigen, die für die Veröffentlichung der Empfänger der EU-Direktzahlungen und anderer Fördermittel eingetreten sind bzw. diese „Transparenz“ durchgesetzt haben, wollten diese Fragen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Es soll öffentliche Klarheit darüber hergestellt werden, wie groß die Unterschiede der Beträge sind, die die verschiedenen landwirtschaftlichen und nicht landwirtschaftlichen Zahlungsempfänger bekommen und wofür das Geld bezahlt wird. Ein paar Betriebe bekommen weit über eine Million Euro an Direktzahlungen jedes Jahr, und weit über 100.000 Betriebe bekommen in Deutschland weniger als 5.000 Euro jährlich. Wem nutzen also die Direktzahlungen, die auf so eine Art und Weise verteilt werden?

Die jüngste Reform der EU-Agrarpolitik hat den Mitgliedstaaten, also auch der Bundesregierung, sehr viel Freiraum gegeben, selbst über den Einsatz dieser Finanzmittel zu entscheiden: Deutschland hätte eine Obergrenze bei 150.000 Euro Basisprämie je Betrieb einführen können. Aber CDU/SPD/CSU waren dagegen, also gibt es bei uns keine Obergrenze, während andere Mitgliedstaaten sie eingeführt haben (z.B. Polen, Irland, Österreich).

Deutschland kann 30 % der Direktzahlungen auf die ersten 46 Hektar je Betrieb umlegen. Das würde endlich die kleineren und mittleren Betriebe stärken, die in politischen Reden immer als Begründung für die Direktzahlungen herhalten müssen. Aber Deutschland nutzt nur 7 % dafür. Frankreich will hier 20 % der Gelder für einen Aufschlag von 100 Euro/ha für die ersten 52 Hektar je Betrieb einsetzen.

Deutschland konnte – und kann nun wieder 2017 – beschließen, 15 % der Direktzahlungsmittel in die zweite Säule für Agrar-, Umwelt- und Tierschutzmaßnahmen und andere zielspezifische Maßnahmen der Bauern umzuschichten. Beschlossen wurden nur 4,5 Prozent, andere EU-Länder schöpfen den Rahmen ganz aus. Auch beim Greening hätten Bund und Länder schon einiges mehr für den Erhalt der Tier- und Pflanzenvielfalt in der Landschaft erreichen können. Das sind nur die größten Weichenstellungen, die Brüssel in die Hand unserer Regierung gelegt hat.

Glauben Sie nicht, dass das Konzept funktioniert?

Wie oben beschrieben, gibt es nicht mehr das eine Konzept der Direktzahlungen. Die nationalen Entscheidungsbefugnisse mag man als Re-Nationalisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik beklagen, aber sie waren der politische Preis dafür, dass der Grundansatz der letzten Reform „grüner und gerechter“ nicht ganz vom Tisch geboxt wurde. Wenn man so will, ist in dieser stark gewachsenen Verantwortung für Regierungen und Parlamente der Mitgliedstaaten bereits ein Übergang  hin zu einem Ausbau regional angepasster, zielspezifischer Fördermaßnahmen geöffnet worden. Das ist der bisherige Ansatz der zweiten Säule, also der Förderung der Ländlichen Entwicklung. Die Säulen-Struktur ist mindestens durchlässiger geworden.

Wichtiger aber als das Denken in Säulen ist und bleibt die Frage, wie die jeweiligen Instrumente der Agrarpolitik eingesetzt werden. Man kann, wenn man die politische Kraft entwickelt, sowohl mit anders gestalteten Direktzahlungen als auch mit den Fördermodulen der zweiten Säule Gutes oder Negatives bewirken. Das hängt natürlich vom Standpunkt der Betrachtung und eben von der konkreten Ausgestaltung ab.

Haben Sie einen Vorschlag, wie man es besser machen könnte?

Es gab viele gute Vorschläge, auch die EU-Kommission hatte einiges Gutes vorgeschlagen, vor allem in der Frage der höheren „Gerechtigkeit“ in der Zuteilung der Gelder. Aber der politische Widerstand war – ganz besonders seitens der Bundesregierung – zu groß, um es verbindlich in der ganzen EU durchzusetzen. Aber die Mitgliedstaaten haben – wie gesagt – jetzt große eigene Verantwortung. Es kommt also darauf an, politische Mehrheiten zu erreichen. Das geht nur mit einer öffentlichen Debatte über das Thema.

Könnten Sie auch auf die Direktzahlungen verzichten?

In dieser häufig gestellten Frage flackert eine gewisse Scheinradikalität. Denn erstens wird es Direktzahlungen noch längere Zeit geben, und wie gestalten wir sie in dieser Zeit?! Ein Streichen über den ganzen Kamm verändert an der Wirkung nichts. Und zweitens sind unter denen, die laut nach Streichung der Direktzahlung rufen, viele, die eben lieber das Geld für alle streichen, als es sinnvoll, also differenziert einzusetzen. Besser wäre es also doch darüber zu reden, wofür nicht länger gezahlt werden soll, oder andersherum: an welche gesellschaftlichen Leistungen die Gelder gebunden werden, und zwar egal in welcher Säule.

Eine etwas diffizile Frage: Wie reagieren Ihre Berufskollegen auf die Veröffentlichung der Zahlungen?

Es gibt auch die Berufskollegen, die kein Problem damit haben, dass öffentlich wird, dass das „viele Geld aus Brüssel“ nicht bei ihnen landet, dass es aber sehr wohl bei uns einige große Fische unter den Empfängern gibt. Sie nehmen die öffentlichen Fragen auch im Dorf lieber in Kauf, als das über die wahren Profiteure der Mantel des Schweigens gelegt wird und dann nachts alle Katzen grau erscheinen.

Wie finden Sie die Umsetzung des Portals hinsichtlich Nutzerfreundlichkeit und Transparenz und der verwendeten Abkürzungen?

Die Spitze des Bundesagrarministeriums hat sich bereits so geäußert, dass der EU-rechtliche Spielraum so weit wie möglich ausgeschöpft werden solle, um die Transparenz so gering wie möglich ausfallen zu lassen. Notwendig ist aber, die Transparenz so zu gestalten, dass mit den Zahlen immer gleich der konkrete Zweck der Zahlung ausgesprochen wird. Denn dann wird der öffentliche Blick auf die agrarpolitischen Ziele und also auf die politischen Entscheidungen gerichtet. Darüber, und nicht so sehr über die Namen, müssen wir eine öffentliche Debatte führen, und die dann durchaus hart. Denn Agrarpolitik hat viele Auswirkungen, für die einzelnen Betriebe, aber eben auch für wichtige Lebensbereiche der gesamten Gesellschaft. Das geht alle etwas an. (Proplanta)
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Kommentare 
Kutusow schrieb am 16.03.2015 08:52 Uhrzustimmen(95) widersprechen(92)
Außer, dass ein paar große Betriebe, die nun auch einmal mehr Fläche und mehr Arbeitskräfte als ein kleiner Betrieb haben, mehr Prämien bekommen als kleinere Betriebe, ist dem Interview nicht zu entnehmen! Die Vorschläge wie man es besser machen könnte - bleiben aus! Was ist denn "Gerechtigkeit" bei der Verteilung der Prämien! Auch dazu nur die allgemeine Forderung nach Gerechtigkeit, mehr nicht! Insgesamt wenig überzeugend, die Äußerungen von Herrn Jasper!
agricola pro agricolas schrieb am 16.03.2015 08:08 Uhrzustimmen(116) widersprechen(64)
Wenn, wie vorstehend ausgeführt, ein Denken gesellschaftlich mehrheitlich konsensfähig ist/bleibt, wonach ausschließlich die Versorgungssicherheit im Vordergrund steht, wird somit die Bauerndroge des alljährlich unverzichtbaren „intensivmedizinischen“ Staatstropfes als Steuerungsmechanismus unverzichtbar sein, auch über 2020 hinaus! Was unterscheidet den Bauern heute von seinen bäuerlichen Vorfahren vor 200-300 Jahren, gar noch länger!? Wie frei ist der Bauer in seinem Unternehmertum heute? Eine Lehnsherrschaft der „Modern Art“? In Deutschland scheiterte schon einmal ein System der Überregulierungsmechanismen, der MANGEL mutierte hieraus zum System. Welche Perspektiven eröffnet man damit dem intelligenten, gut ausgebildeten Nachwuchs auf den Höfen? Oberstes Ausbildungsziel: Prämienoptimierung!? Verwundert es da wirklich, dass die beruflichen Herausforderungen der urbanen Welt weit verlockender sind? Das Höfesterben, damit einhergehend die Arbeitsplatzvernichtungswelle, wird SO rasant voranschreiten.
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