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09.07.2023 | 08:03 | EU-Gentechnikrecht 

Neue Züchtungstechniken: Europäische Kommission macht ernst

Brüssel - Mit neuen gentechnischen Verfahren erzeugte Pflanzensorten sollen unter bestimmten Bedingungen von den derzeitigen Auflagen des europäischen Gentechnikrechts weitgehend befreit werden.

EU-Gentechnikrecht
Offizieller Vorschlag zur Überarbeitung des Gentechnikrechts vorgelegt - Erfasst werden nur durch gezielte Mutagenese oder Cisgenese erzeugte Pflanzensorten. (c) proplanta
Das geht aus dem Vorschlag zur Überarbeitung des EU-Gentechnikrechts hervor, den die Europäische Kommission am Mittwoch (5.5.) veröffentlicht hat. Der Entwurf bezieht sich ausschließlich auf Sorten, die durch gezielte Mutagenese oder Cisgenese erzeugt wurden.

Kernpunkt ist die Einteilung der durch die neuen Verfahren erzeugten Pflanzen in zwei Kategorien, wobei für die erste eine weitgehende Gleichstellung mit den Produkten konventioneller Züchtung vorgeschlagen wird. Maßgeblich für die Einstufung soll ein Verifizierungsverfahren auf der Basis objektiver Kriterien sein. Wesentliche Voraussetzung ist, dass die betreffende Pflanze beziehungsweise die fragliche Veränderung in der gleichen Form auch mit den altbekannten Methoden hätte erzeugt werden können, also beispielsweise durch Einkreuzung.

Außerdem darf die Anzahl der Veränderungen ein bestimmtes Maß nicht überschreiten. Das Saatgut der Pflanzen aus der Kategorie 1 soll entsprechend gekennzeichnet werden, um die weiterhin verbotene Verwendung im Ökolandbau zu verhindern. Für Transparenz soll zudem eine Datenbank zu allen neuartigen Sorten sorgen.

Koexistenz absichern

Für Pflanzen der Kategorie 2 sieht der Kommissionsvorschlag eine Regulierung in Anlehnung an die derzeitigen Vorschriften vor. In Abhängigkeit von der jeweils angewandten Methode werden jedoch verschiedene Erleichterungen bei der Risikobewertung und der Kennzeichnung vorgeschlagen, wobei die Rückverfolgbarkeit weiterhin gewährleistet sein muss.

Neben der Kennzeichnung als genetisch veränderter Organismus (GVO) soll auf freiwilliger Basis ermöglicht werden, den Zweck der zugrundeliegenden Veränderung anzugeben. Für Pflanzen in der zweiten Kategorie sollen außerdem die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die Koexistenz der gentechnikfreien Produktion abzusichern.

Ferner sieht die Kommission regulatorische Anreize vor, mit denen erwünschte Merkmale gefördert werden sollen. Damit soll insbesondere auf die Nachhaltigkeitsziele abgestellt werden; aus diesem Grund werden Sorten mit Herbizidtoleranzen von den Anreizen ausgeschlossen. Darüber hinausgehende Einschränkungen für Herbizidtoleranzen sind - anders als im Zusammenhang mit der vorab bekanntgewordenen Version diskutiert - nicht vorgesehen, stattdessen wird auf den Vorschlag zur Novelle der EU-Saatgutverordnung verwiesen.

Kommission erwartet mehr Nachhaltigkeit

Nach Einschätzung der Kommission wird der neue Rechtsrahmen den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Lebensmittelproduktion befördern. Als Herausforderungen explizit benannt werden neben dem Klimawandel die Verringerung des Einsatzes von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Nicht berührt werden durch den Kommissionsvorschlag Fragen des Patentrechts. Den im Vorfeld von zahlreichen Interessengruppen diesbezüglich geäußerten Bedenken will Brüssel begegnen, indem die Auswirkungen der neuen Gesetzgebung genau überwacht werden sollen. 2026 soll der erste Bericht vorliegen und als Basis für den weiteren Kurs dienen.

Effiziente Notifizierung

In der Brüsseler Verbändelandschaft löste der Entwurf die zu erwartenden Reaktionen aus. Die Europäische Saatgutvereinigung (Euroseeds) begrüßte den Vorschlag. Generalsekretär Garlich von Essen mahnte, der Notifizierungsprozess für die Kategorie 1 müsse effizient und auf wissenschaftlicher Basis gestaltet werden, um eine politische Instrumentalisierung zu vermeiden. „Unlogisch“ ist es aus Sicht des Generalsekretärs, den Einsatz der neuen Verfahren im Ökolandbau zu verbieten. Jeder Landwirt müsse das Recht zu wählen haben.

Die EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA) bezeichneten die Gesetzesvorschläge als „guten Ausgangspunkt“. Deutliche Worte der Ablehnung fand die EU-Gruppe der Internationalen Vereinigung ökologischer Landbaubewegungen (IFOAM Organics Europe). Der Vorschlag sei „fehlgeleitet“, gefährde die Unabhängigkeit der Saatgutversorgung und lenke von den agrarökologischen Lösungen für eine nachhaltigere Landwirtschaft ab. An das Europaparlament und die Mitgliedstaaten appellierte IFOAM, die Wahlfreiheit von Landwirten und Verbrauchern zu schützen und die Monopolisierung von genetischen Ressourcen zu verhindern.

EVP will aufs Tempo drücken

Auch im Europaparlament kristallisierten sich die zu erwartenden Fronten heraus. Die deutschen Agrarpolitiker der Unionsparteien stellten sich hinter die Stoßrichtung des Entwurfs. „Wenn die neuen Züchtungsmethoden weiterhin pauschal als gentechnisch veränderte Organismen bewertet werden, dann führt uns das politisch und fachlich immer mehr in die Sackgasse“, erklärten Marlene Mortler, Lena Düpont, Christine Schneider, Norbert Lins und Peter Jahr unisono.

Aus Sicht der EVP-Politiker bietet der Vorschlag die Möglichkeit, die Pflanzenzüchtung zu revolutionieren und nachhaltigere landwirtschaftliche Lebensmittelsysteme zu fördern. Die neuen Züchtungsmethoden führten zu resilienteren Pflanzen und in der Folge zu einem geringeren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Aus Sicht von Mortler und ihren Mitstreitern ist es nun „dringend“ nötig, dass der Vorschlag vom EU-Parlament und Rat noch vor den Wahlen im kommenden Jahr verabschiedet und nicht noch weiter aufgeschoben wird.

Vorsorgeprinzip ausgehebelt

Die agrarpolitische Sprecherin der SPD-Europaabgeordneten, Maria Noichl, erklärte dagegen, sie sehe den Entwurf „mit großer Sorge“. „Für mich hat das Vorsorgeprinzip bei Züchtungen und bei der neuen Gentechnik, insbesondere bei neuen Methoden wie CRISPR/Cas, absoluten Vorrang“, betonte Noichl. Sie kündigte an, eine diesbezügliche Aufweichung der EU-Regelungen ablehnen zu wollen. Auch der Agrarsprecher der Grünen, Martin Häusling, sieht durch den Vorschlag Vorsorgeprinzip und Transparenz ausgehebelt.

„Züchter, Landwirte und Lebensmittelhersteller können zukünftig eine Kontamination mit gentechnisch veränderten Stoffen nicht mehr vermeiden, da die Entwickler der gentechnischen Veränderungen ihre Nachweismethoden für sich behalten dürfen“, kritisierte Häusling. Auch die neue Gentechnik bleibe eine Risikotechnologie und müsse sich einem strengen Zulassungsprozedere mit Risikoprüfung unterziehen.

„In Zeiten, in denen kein Staubsauger ohne Prüfkennzeichen auf den Markt kommen darf und kein öffentliches Gebäude ohne Brandschutzzertifikat abgenommen werden kann, sollte kein Unternehmen und kein Labor mit Freifahrtschein Veränderungen im Genom vornehmen dürfen“, so Häusling.
AgE
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