Deutschlands Landwirte zählten über Jahrzehnte zu den treuesten Wählern von
CDU und CSU. Diese Zeiten könnten bald vorbei sein: Der jahrelange Verfall der
Erzeugerpreise - vor allem bei Milch - hat die einstige Geschlossenheit der Landwirte zerstört. Zehntausende Bauern fürchten um ihre Existenz, die Stimmung hat den Siedepunkt erreicht.
In Süddeutschland ist Bauernverbands-Präsident Gerd
Sonnleitner bei vielen Landwirten unten durch. Den politischen Kollateralschaden erleidet die Union: Ihr droht im Superwahljahr 2009 massenhaftes Fernbleiben einstiger Stammwähler. Und es gibt neuen Streit in der Union - die CSU ist sauer, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bislang kein übermäßiges Interesse am Schicksal der Bauern erkennen lässt.
Der Stein des Anstoßes: Vergangene Woche demonstrierten empörte Milchbäuerinnen in Berlin gegen den Preisverfall - aber Merkel redete nicht mit ihnen. Am Wochenende wurden viele CSU-Vorstände in ihren heimischen Stimmkreisen mit der Wut der Bauern konfrontiert. Am Montag machten die Christsozialen dann ihrerseits bei einer Vorstandssitzung in München ihrem Ärger Luft. «Ich habe mein Unverständnis zum Ausdruck gebracht», beschrieb Bayerns Agrarminister Helmut
Brunner anschließend seine Reaktion auf Merkels Verhalten.
«Man muss immer dialogfähig sein und darf das Gespräch nicht verweigern.» Ein Wortführer des bäuerlichen Zorns ist Romuald Schaber, Chef des Bundesverbands deutscher Milchviehhalter. «Es gibt die Entfremdung der Bauern zum Bauernverband, und es gibt die Entfremdung zwischen Bauern und Union», sagt er. Laut einer
Umfrage seines Verbands würden nur noch 23 Prozent der Milchbauern derzeit Union wählen.
Die Wurzel der internen Konflikte unter den Bauern ist, dass die großen norddeutschen Betriebe und die kleinen süddeutschen unterschiedliche Interessen haben. Sonnleitner befürwortet als gesamtdeutscher Bauernpräsident die Aufhebung der Produktionsbeschränkungen für Milch im Jahr 2015 - denn die Nord- und Ostdeutschen werden davon langfristig profitieren. Den viel kleineren bayerischen Höfen droht dagegen der Ruin - und der in Personalunion als bayerischer Bauernpräsident agierende Sonnleitner ist deswegen in seiner Heimat für viele Bauern zur persona non grata geworden.
Stattdessen hat sich Schabers Milchviehhalter-Verband zur schlagkräftigen Konkurrenz entwickelt. Doch der
Bauernverband hat über Jahrzehnte die
Agrarpolitik der Union mitformuliert. Insbesondere in Bayern gab es eine Aktionseinheit von CSU und Lobbyverband: Sonnleitner ging in der Staatskanzlei und im
Agrarministerium in der Münchner Ludwigstraße ein und aus. Seit Sonnleitner bei den bayerischen Bauern in Ungnade gefallen ist, leidet auch die CSU. Schaber nennt als Beispiel das CSU-Debakel bei der Landtagswahl 2008: «Der Bauernverband sollte getroffen werden, aber mitgetroffen wurde die CSU, weil sie zu nah beim Bauernverband stand.»
Diese «bayerische Krankheit» droht sich nun auf ganz Deutschland auszuweiten und die CDU in Mitleidenschaft zu ziehen. Denn inzwischen leiden auch die großen nord- und ostdeutschen Bauern unter dem Preisverfall. «Da gibt es keinen Gegensatz zwischen Ost und West oder Nord und Süd», sagt Bayerns Agrarminister Brunner. Milchbauer Schaber warnt, die Union müsse sich insgesamt überlegen, ob sie so nah beim Bauernverband bleiben wolle. In der CSU herrscht mittlerweile Alarmstufe rot.
Seehofer wie Brunner werden von den wütenden Bauern respektiert, wie Schaber sagt. Die Partei sieht aber mittlerweile angesichts der Entwicklung auf den Agrarmärkten ohnmächtig aus. «Man kann in München nie korrigieren, was in Brüssel entschieden wird», sagt Schaber. (dpa)