Insbesondere bei nationalen Alleingängen führt solch eine staatliche Konsum- und Produktionslenkung jedoch zu Milliardenverlusten für Erzeuger und die volkswirtschaftliche Wohlfahrt, ohne dass die begrenzten Effekte für das Klima und den
Ressourcenschutz dies kompensieren können. Dies sind die wesentlichen Ergebnisse der Studie „Globale Auswirkungen einer rein pflanzlichen
Ernährung - Konsequenzen für Wirtschaft, Umwelt und Welternährung“, die unter Federführung des Agrarökonomen Prof. Peter Michael Schmitz vom Institut für Agribusiness in Gießen auf Anregung der Dr. Alhard von Burgsdorff-Stiftung erstellt worden ist (Dokumentation).
Anhand einer umfangreichen Literaturanalyse sowie eigenen Berechnungen mit zwei Modellen werden darin die Konsequenzen eines reduzierten Verbrauchs tierischer Produkte, des Anstiegs tierschutzbedingter
Produktionskosten und eines Importverbots für eiweißreiche Futtermittel einer Kosten-Nutzen-Analyse auf nationaler und internationaler Ebene unterzogen. Zudem werden mögliche Auswirkungen auf Umwelt, Klima und
Welternährung kalkuliert.
So würde beispielsweise ein einseitiger Sojaimportverzicht Deutschlands hierzulande jährlich rund 10 Mrd. $ (8,7 Mrd. Euro) kosten. Bei einer Reduzierung der Erzeugung und des Verbrauchs von Fleisch in der Europäischen Union um jeweils 20 % würden volkswirtschaftliche Wohlfahrtsverluste in der Gemeinschaft von umgerechnet 9,4 Mrd. Euro im Jahr entstehen, werden Milch und Eier hinzugerechnet sogar von 16,2 Mrd. Euro.
Die Effekte eines verringerten Fleischkonsums beziehungsweise der -erzeugung in der EU auf den weltweiten Verbrauch von Land und Wasser sowie auf die CO2-Emissionen sind laut der Studie dagegen gering. Grund dafür sei, dass Einsparungen im Ursprungsland durch Produktionsverlagerungen und einem veränderten Verbrauch zu einem höheren Ressourcenverbrauch an anderer Stelle führten. Die Einschränkung der hiesigen Tierhaltung sei somit ein ineffizientes Mittel zur Lösung von Umweltprobleme in anderen Regionen oder auf globaler Ebene.
Verschiedene SzenarienDie ökonomischen Folgen einer verstärkten pflanzlichen Ernährung sowie einer Verringerung der Erzeugung durch kostenintensive Auflagen für die
Tierhalter sind vielschichtig und gehen weit über die Grenzen des betroffenen Landes oder der Region hinaus. Mit verschiedenen Szenarien und Modellen werden in der Studie mögliche Konsequenzen quantifiziert. Generell würde eine Verbrauchseinschränkung die Weltmarktpreise des entsprechenden Produktes sinken lassen, während sie bei einer Produktionsabnahme stiegen. Das hat Konsequenzen für die globalen Verbrauchs- und Produktionsstrukturen.
So würde sich bei einem Fleischverzicht in der EU um 50 % der
Konsum in der Restwelt aufgrund der dann niedrigeren Preise erhöhen; rund die Hälfte des Einspareffektes ginge so global gesehen verloren. Gleichzeitig würden wegen der schwachen Nachfrage am
Binnenmarkt die EU-Exporte von Schweine- und Geflügelfleisch drastisch ansteigen; bei Rindfleisch würde die Gemeinschaft vom Nettoimporteur zum -exporteur.
Bei einer erzwungenen Verringerung der EU-Fleischproduktion um 50 % dürfte - induziert durch höhere Preise - die Erzeugung in anderen Ländern merklich ansteigen, so dass weltweit fast die Hälfte der EU-Minderproduktion ausgeglichen würde. Die Ausfuhren der Mitgliedstaaten würden so stark sinken, dass auch Schweine- und Geflügelfleisch aus Drittstaaten netto importiert werden müssten Profiteure davon wären vor allem Brasilien und die USA, während bei einem Verbrauchsverzicht in erster Linie Importländer wie China, Russland und Japan begünstigt würden.
Radikale Agrarwende wird teuerSollte tatsächlich, wie in einem Szenario unterstellt, die Hälfte des Fleischkonsums in der EU durch vegetarische Nahrung ersetzt werden, würden Milliardenverluste entstehen. Laut Ergebnissen des partiellen Gleichgewichtsmodells AGRISIM, welches nur den
Agrarsektor beinhaltet und Fleisch als homogenes Gut ohne Qualitätsunterschiede betrachtet, würden die Erzeugereinkommen jährlich um umgerechnet 5,7 Mrd. Euro sinken, bei veganer Ernährung ohne Milch und Eier sogar um11,2 Mrd. Euro.
Noch größer wären die volkswirtschaftlichen Wohlfahrtsverluste, die bei einem Fleischverzicht von 50 % bei 10,1 Mrd. Euro lägen beziehungsweise bei 15,1 Mrd. Euro, wenn zusätzlich auch der Eier und
Milchkonsum im gleichen Ausmaß reduziert würden. Noch unvorteilhafter für die Erzeuger in der EU wäre gemäß den Studienergebnissen eine Einschränkung der
Fleischproduktion aus Umwelt- und Tierschutzgründen um die Hälfte, was zu Einkommenseinbußen von jährlich 21,4 Mrd. Euro und bei Einbeziehung von Milch und Eiern von 35,0 Mrd. Euro führen würde. Nach Angaben von Schmitz wurde die Verbrauchs- beziehungsweise Produktionseinschränkung mit 50 % so hoch gewählt, um die wirtschaftliche Tragweite einer oft geforderten „radikalen Agrarwende“ aufzuzeigen.
Kaum weniger TreibhausgaseIn dem ebenfalls angewandten generellen Gleichgewichtsmodell GTAP, welches breiter aufgestellt ist und die gesamte
Wertschöpfungskette bis zum Endverbraucher erfasst sowie auch Qualitätsunterschiede des Fleisches im Außenhandel zulässt, werden von Schmitz noch größere Wohlfahrtsverluste berechnet. So dürfte ein alleiniger Fleischverzicht in Deutschland um 50 % zu Verlusten von jährlich 7,7 Mrd. Euro führen; passiert das in der gesamten EU, wären Wohlfahrtseinbußen von 88 Mrd. Euro zu erwarten. Würde zudem der Konsum von Milch und Milchprodukten halbiert, stiege die volkswirtschaftliche Verlustrechnung auf mehr als 162 Mrd. Euro im Jahr.
Den hohen Kosten steht laut den Berechnungen in der Studie indes nur eine begrenzte Einsparung von Treibhausgasen (THG) gegenüber. So würden bei einer Halbierung des Fleisch- und Milchverbrauchs in der EU die gesamten THG-Emissionen einschließlich Methan und Lachgas ausgedrückt in CO 2-Äquivalente lediglich um 4,2 % sinken.
Eine Halbierung der Produktion hätte sogar weltweit einen Anstieg um 1,4 % zur Folge, da die Erzeugung in Länder mit höheren THG-Emissionen verlagert würde. Das seien „enttäuschende Ergebnisse, wenn man an die Erwartungshaltung zahlreicher Kritiker der
Tierproduktion in der EU und insbesondere in Deutschland denkt“, heißt es in der Studie. Die volkswirtschaftlich hohen Kosten eines Fleischverzichts oder der Einschränkung der Produktion seien nicht vertretbar, wenn der Klimabeitrag gegen Null gehe.
Wasserverbrauch sinkt kaumAuch beim weltweiten Wasserverbrauch erweist sich laut Schmitz die Hoffnung, durch Konsumverzicht oder Produktionseinschränkung tierischer Produkte in Europa eine globale Verbesserung zu erzielen, als wenig erfolgversprechend. Dadurch würden Produktionsfaktoren und freiwerdende Geldmittel in andere Verwendungsbereiche im Inland und Ausland verlagert und führten dort zu einem Mehrverbrauch an Wasser. Der Einspareffekt werde oft deutlich überschätzt, weil diese Zweitrunden- oder Substitutionseffekte vernachlässigt würden.
So könne durch eine Halbierung des Angebots oder der Nachfrage von Fleisch und Milchprodukten in der EU der globale Wasserverbrauch maximal um 3 % sinken. In zahlreichen Entwicklungsländern dürfte er sogar ansteigen, weil dort im Falle der Produktionsverlagerung der Verbrauch höher sei als in den Industrieländern. Das mache klar, dass sich Wassereinsparungen wirksamer und effizienter mit anderen Mitteln und an anderen Standorten realisieren ließen als durch einen Verzicht und Produktionseinschränkungen in Europa. Innovative Bewässerungstechniken in Entwicklungsländern könnten hierzu ein effizienterer Beitrag sein.
Geringe FlächenwirkungEin Konsumverzicht von Fleisch wird in der Europäischen Union auch oft gefordert, um auf den Flächen
Nahrungsmittel zur menschlichen Ernährung statt Futtermittel anzubauen. Tatsächlich dürfte Berechnungen in der Studie zufolge der Landverbrauch in Deutschland um gut 20 % zurückgehen, wenn Verbrauch oder Produktion von Fleisch und Milch um 50 % reduziert würden. Für die weltweite
Landnutzung habe das allerdings keine Bedeutung.
Ähnlich gering fallen die berechneten Effekte aus, wenn die EU sich entsprechend einschränken würde; dann würde der globale Landverbrauch maximal um 1,3 % sinken. Selbst eine unrealistische weltweite Reduzierung würde nur Flächen im Umfang von 12 % bis 16 % freisetzen und das vermutlich überwiegend auf Grasland, welches sich meist nicht für den Anbau von Nahrungsmitteln eigne.
Dass sich durch eine Konsumverweigerung oder einen Produktionsrückgang tierischer
Erzeugnisse in Deutschland oder der EU größere Flächen für Nahrungszwecke in anderen Ländern gewinnen ließen, könne mit den erfolgten Simulationsberechnungen nicht bestätigt werden, so das betreffende Resümee in der Studie.
Hunger vor Ort bekämpfenBei der Frage, ob ein Konsumverzicht von Fleisch in Industrieländern den Hunger in Entwicklungsländern verringern kann, verweist Schmitz auf neuere Studien, die das verneinen. Allenfalls kurzfristig könne dies zu einer marginalen Verbesserung der Ernährungssituation führen, mittel- bis langfristig würden Hunger und Armut aber mit sinkenden Agrarpreisen ansteigen.
Die Gründe für Hunger und Armut in Entwicklungsländern liegen dem Wissenschaftler zufolge nämlich oft vor Ort. Abgeschottete Märkte, schlechte Regierungsführung, unfähige und korrupte Verwaltungen, Bürgerkriege,
Wetterextreme, Naturkatastrophen und nicht zuletzt die Diskriminierung der Landwirtschaft infolge von Exportsteuern oder überbewerteten Währungen seien beispielhaft zu nennen. Dadurch würden Landwirte in diesen Ländern oft nur einen Bruchteil der Weltmarktpreise für ihre Produkte erhalten, während die Verbraucher häufig überhöhte Preise zahlen müssten, weil marktmächtige Akteure in der Wertschöpfungskette die Marktspanne zu ihren Gunsten ausdehnten.
Die gut gemeinte Vorstellung, man könne durch Verzicht auf Fleisch und Milchprodukte in westlichen Ländern die Ernährungssituation in armen Ländern verbessern, „geht an der Wirklichkeit vorbei“, folgert Schmitz. Wenn westliche Länder wirklich etwas für die Verbesserung der Ernährungssituation in Entwicklungsländern tun wollten, sollten sie ihre Märkte öffnen und zur Förderung von Landwirtschaft, Infrastruktur, Bildung und Gesundheit in den betroffenen Ländern beitragen, empfiehlt der Agrarökonom.
Umweltverbesserungen preiswerter zu haben Aufgrund der begrenzten Einsparungen bei Land, Treibhausgasen oder Wasser sowie geringer Wirkungen auf die Welternährung, muss laut Schmitz die berechtigte Frage gestellt werden, ob es angesichts von Milliardenverlusten an Sektoreinkommen und volkswirtschaftlicher Wohlfahrt nicht effizientere Instrumente als Konsumverzicht, teure Produktionsstandards und Handelsbeschränkungen gibt, um Umweltverbesserungen mit geringeren Kosten zu erreichen.
Der Wissenschaftler bejaht das und verweist auf technologische Fortschritte und Innovationspotentiale in der Tier- und
Pflanzenzucht, der
Tierernährung sowie der Tierhaltung und Tiergesundheit. Diese seien nicht nur in der Lage, Leistung und
Futterverwertung der Tiere zu verbessern, sondern auch Emissionen und Ressourcenverbrauch zu verringern.
Zudem spielten dabei die Digitalisierung und Molekularbiologie ebenso eine wichtige Rolle wie die Verbesserung des betrieblichen Managementwissens. Dafür seien von der Politik entsprechende Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung zu schaffen.
Die in der Studie untersuchten Politikkonzepte des Konsumverzichts und der Zurückdrängung der Fleischerzeugung sowie ein Sojaimportverbot schwächten dagegen die
Wettbewerbsfähigkeit der Nutztierbranche stark, ohne einen wirksamen Beitrag zu Umwelt-, Klima- und Tierschutz beziehungsweise zur
Hungerbekämpfung zu leisten. Das sei keineswegs ein Plädoyer gegen intensive Bemühungen zur Verbesserung der genannten Schutzgüter und der Welternährung, betont Schmitz. Es sei jedoch eine Aufforderung zur Suche nach treffsicheren, wirksameren und sparsamen Mitteln der Politik, ohne die Nutztierbranche in ihrer Existenz zu gefährden.
Umrechnungsfaktor: 1 $ = 0,8737 Euro