Es sind Reizthemen in vielen Dörfern quer durch die Republik: neue Megaställe für tausende Tiere oder der massenhafte Antibiotika-Einsatz in Mastanlagen. Unabhängig vom akuten Skandal um Etikettenschwindel mit Pferdefleisch wittern Kritiker industrieller «Agrarfabriken» gerade Morgenluft.
Nach dem rot-grünen Sieg in Niedersachsen - dem deutschen Landwirtschaftsstandort Nummer eins - dürften Fragen der Tierhaltung und gesunde Lebensmittel im nahenden Bundestagswahlkampf ebenfalls eine Rolle spielen. Auch die Union, die in den ländlichen Gebieten ihre Bastionen hat, ist sensibilisiert.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast lässt an der strategischen Bedeutung keinen Zweifel. «Massentierhaltung und
Agrarpolitik wird ganz sicher ein Mobilisierungsthema im Bundestagswahlkampf.» In Stadt wie Land wollten Menschen die Natur erhalten, mit Tieren respektvoll umgehen und den ländlichen Raum nicht mit weiteren riesigen Ställen zubauen. «Gute und fair bezahlte Lebensmittel sind die modernste Form des Umweltschutzes, sichern Jobs und sorgen für mehr globale Gerechtigkeit.» Und die Grünen hätten dafür natürlich die «mit Abstand höchste Kompetenz», wirbt die Ex-Bundesagrarministerin.
Tatsächlich stellt die Ökopartei inzwischen eine ganze Phalanx von Landwirtschafts- und Verbraucherministern in den Bundesländern - von der Nordsee in Schleswig-Holstein bis zum Schwarzwald im Südwesten. Gelegentlich melden sich grüne Ressortchefs auch gemeinsam zu Wort. Von ihrer gerade errungenen Gestaltungsmehrheit im
Bundesrat könnten
SPD und Grüne bis zur
Bundestagswahl am 22. September auch in punkto Agrarpolitik publikumswirksam Gebrauch machen. Erst Anfang Februar war eine Mehrheit gegen eine umstrittene schwarz-gelbe Reform des Tierschutzgesetzes in der Länderkammer noch verpasst worden.
In Niedersachsen, wo gut die Hälfte der deutschen Masthühner gehalten wird, muss sich der designierte Agrarminister Christian Meyer (Grüne) gerade gegen den Ruf als «Bauernschreck» wehren. Es gehe um eine «sanfte Agrarwende», die auf Dialog und Anreize statt auf Verbote setze. «Wir haben uns vorgenommen, dass wir
Agrarland Nummer eins bleiben wollen.» Gestärkt werden sollten aber vor allem die 40.000 Familienbetriebe im Land. Front machen wollen die rot- grünen Koalitionäre etwa gegen umstrittene Brandzeichen für Pferde. Bundesagrarministerin Ilse
Aigner (CSU) war mit solchen Plänen von den Fachpolitikern ihrer eigenen Koalition gestoppt worden.
Dass Kritik an der Massentierhaltung in Niedersachsen Wähler mobilisieren konnte, ist dabei auch in der
CDU registriert worden.
Die Grünen hätten damit ein Thema «emotional besetzt», analysierte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), kurz nach der Wahl. Daher stelle sich die Frage, ob das Thema in künftigen Wahlkämpfen besser kommuniziert werden könnte, auch um eine Schwarz-Weiß-Malerei zu verhindern. Ein Signal der Wertschätzung für die Landwirtschaft gab Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Auftakt ins Wahljahr mit ihrem ersten Rundgang auf der Branchenmesse
Grüne Woche in Berlin.
Auch die SPD will die Agrarpolitik auf den Wahlkampfradar nehmen. Moderne Landwirtschaft verdiene als Hochtechnologiebranche Respekt, sagte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bei seiner Grüne-Woche-Visite im Januar. Abgestellt werden müssten aber «bestimmte Missstände», etwa beim Umweltschutz und dem Umgang mit Tieren. Und überhaupt wolle er um Wähler auf dem Land werben: «Es wäre sehr fahrlässig, geradezu unprofessionell, darauf nicht einzugehen oder zu sagen, dieser ländliche Raum ist eine Domäne der CDU/CSU, deshalb konzentriere ich mich alleine auf die Ballungsräume und deren Problematik.» (dpa)