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12.06.2011 | 20:12 | Energienetz 

Die Angst vor dem schwarzen Pfingstmontag

Berlin - Das Szenario sieht in etwa so aus: Pfingstmontag scheint die Sonne fast deutschlandweit, noch dazu weht im Osten und Norden starker Wind. Eine immense Menge Strom wird sofort in das Netz reingepresst.

Energienetz
Strom, der wegen der in Industriebetrieben ruhenden Arbeit aber nicht gebraucht wird. «Die Netze sind dann unter Stress, das kann zu Schwierigkeiten führen», betont der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth.

Lange bevor in Fukushima die Reaktorkerne schmolzen, wurde von Energieexperten vor der Gefahr eines Blackouts speziell an Pfingsten gewarnt. «Da ist in der Regel sehr viel Energie im Netz bei wenig Verbrauch», sagt Andreas Preuß vom Netzbetreiber Amprion, der mit 850 Mitarbeitern 11.000 Kilometer an Höchstspannungsleitungen betreibt.

Dabei hat die Lage etwa am Pfingstmontag nichts zu tun mit der Stilllegung von acht Kernkraftwerken nach der Katastrophe von Fukushima. Sie zeigt aber das prinzipielle Problem mit bisher nicht auf die Ökowende ausgerichteten Netzen. Es liegt in der stark unterschiedlichen Produktion von Ökostrom, die für die Netzbetreiber mit dem Wetterbericht nur bedingt planbar ist.

«Fakt ist, in jeder Sekunde muss so viel Energie da sein wie verbraucht wird», so Preuß. Da es zwischen dem Norden und dem Süden fast nur Strombundesstraßen statt Stromautobahnen gibt, kommt es derzeit oft zur paradoxen Lage, dass im Norden Windstrom nach Skandinavien exportiert wird, im Süden fehlender Atomstrom aber aus Frankreich oder Tschechien eingeführt werden muss.

Bei Amprion wird betont, schwieriger sei es, wenn zu wenig Energie da ist. Die Netzbetreiber warnen vor einer Lücke von 2.000 Megawatt an Wintertagen, wenn Photovoltaikanlagen mit Schnee bedeckt sind und Wind weitgehend als Stromlieferant ausfällt. Dann kann es zu einem plötzlichen Spannungsabfall kommen.

Es ist ein Blick in die Kristallkugel, ob es wirklich zu großen Ausfällen kommen kann, deren Schaden RWE-Chef Jürgen Großmann auf eine Milliarde Euro täglich taxiert. Durch das Atommoratorium der Bundesregierung und die Revision weiterer Atommeiler gab es trotz aller Kassandrarufe keine größeren Probleme. Ein großer Stromausfall in Berlin wurde durch linke Chaoten verursacht.

Aber der Chef des Netzbetreibers Tennet, Martin Fuchs, betont: «Wir fahren die Netze kontinuierlich am Limit». Bis zu 8000 Megawatt Strom müssten zeitweise pro Stunde importiert werden. Dennoch sehen Experten die Gefahr eines großen Ausfalls als eher gering an, da es viele Eingriffmöglichkeiten gibt.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) betont, man habe sich «auf eine Kumulation ungünstigster Umstände» eingestellt. Versorgungssicherheit und Netzstabilität würden als «Nummer-1-Thema» gesehen. Der Anspruch sei, zu jeder Stunde im Jahr eine gesicherte Kapazität im Netz zu haben, die den bisher höchsten Verbrauch in Deutschland übertrifft. Damit soll gewährleistet werden, dass auch Großverbraucher wie Daimler oder BMW nicht vom Netz genommen werden müssen.

Neben den zwei seit Jahren stillstehenden AKW Krümmel und Brunsbüttel werde nun mit sechs weiteren Meilern eine zusätzliche Leistung von 6,5 Gigawatt abgeschaltet, rechnet Röttgen vor. «Wir haben in Deutschland 93 Gigawatt gesicherte Leistung.» Die höchste in den letzten Jahren festgestellte Stromnachfrage habe bei 82 Gigawatt gelegen. «Das heißt, wir haben in Deutschland immer noch einen Puffer.» An diesen Worten wird Röttgen gemessen werden. Zumal man für den Netzbetrieb nicht nur genug gesicherte Leistung braucht, sondern für den richtigen Stromfluss auch genug Regel- und Blindleistung.

Ein AKW als Kaltreserve gilt unter Experten als wenig hilfreich, besser seien Kohle-, Gas- oder Pumpspeicherkraftwerke. Der Atomwissenschaftler Lothar Hahn betont, ein Wiederanfahren eines Atommeilers dauere mindestens zwei bis drei Tage. «Um Tagesspitzen auszugleichen, geht das nicht.» Es könnte durchaus sein, dass die Bundesnetzagentur diese Idee der Regierung bis zum September beerdigt.

Seit Beginn des Moratoriums im März mussten einige Netzbetreiber rund 900 Mal in die Stromproduktion eingreifen, bisher waren es 300 Mal pro Jahr. Volker Kamm vom ostdeutschen Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz, der rund 50 Prozent des deutschen Windstroms einspeist, beziffert die Kosten dieser Markteingriffe in diesem Jahr für 50 Hertz auf 100 Millionen Euro - Geld, das später auf die von allen Stromverbrauchern zu zahlende Netzentgelte aufgeschlagen wird.

Warum kommt es zu diesen Eingriffen? Es gibt zum Beispiel einen Liefervertrag eines brandenburgischen Kohlekraftwerks mit einem bayerischen Autobauer. Weil der Leitung die Überlastung droht oder weil der Strom mangels Atomstrom woanders hin transportiert werden muss, können statt 800 Megawatt nur 500 Megawatt transportiert werden. Der Netzbetreiber muss dann dafür sorgen, dass in Bayern ein Kraftwerk ans Limit geht und die fehlenden 300 Megawatt liefert.

Wenn aber im Winter keine ausreichende Stromreserve da ist und auch die Franzosen wegen Eigenbedarf den Deutschen nicht aus der Not helfen können, bleibt nur eins, um einen Kollaps zu verhindern. Dann müssten die Netzbetreiber einige Großverbraucher vom Netz abklemmen, sagt Bundesnetzagentur-Chef Kurth. (dpa)
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