Der Vorsitzende von RWE Innogy, der Erneuerbaren-Sparte des Essener Energiekonzerns, warnt vor Utopien. Der frühere Hamburger Umweltsenator hält aber einen Ökostrom-Anteil von 50 Prozent bis 2050 für realistisch.
Herr Professor Vahrenholt, warum halten Sie Studien, die eine komplette Öko-Strom-Versorgung bis spätestens 2050 vorhersagen, für übertrieben?
Vahrenholt: «Wir sind weder ein Sonnen noch ein Windland, sieht man von der Küstenregion ab. Wind liefert bei uns 25 Prozent, Sonne 10 Prozent des Jahres zuverlässig Strom, für den Rest müssen andere Erzeugungsquellen oder Speicher einspringen. Beim UBA-Gedankenspiel sind das Biomasse-, Biogas- und Wasserstoffkraftwerke in unerfüllbarem Ausmaß. Schon jetzt erreichen wir in Deutschland mit fast 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche für die Energieerzeugung eine bedenkliche Zahl. Sind Nahrungsmittel und Naturschutz künftig keine Themen mehr? Utopien führen oft in die Irre.» Aber es gibt doch erhebliche Zuwächse, etwa bei der Windkraft.
Liegen bei der Offshore-Energieerzeugung nicht riesige Potenziale?
Vahrenholt: «Für 45.000 Megawatt (MW) Offshore-Windkraftanlagen, wie das UBA es verlangt, sind gar keine Flächen in der Nordsee, denn dafür würden 7.500 Quadratkilometer Fläche benötigt. Zieht man von der Nordsee das Wattenmeer, die für Naturschutz, Schifffahrtswege und andere Nutzungen benötigten Flächen ab, bleiben 3.500 Quadratkilometer für 20.000 MW. Sind Naturschutz und Schifffahrt überflüssig? Dass eine Bundesbehörde das Raumordnungsprogramm nicht kennt, ist schlimm, dass es die Auslöschung bedrohter Arten wie den Seetaucher in Kauf nimmt, ist unverzeihlich. Dogmatismus war nie ein guter Ratgeber.»
Was für einen Erneuerbaren-Anteil halten Sie denn für realistisch?
Vahrenholt: «Ich setze als Pionier der Windenergie auf pragmatische, erreichbare Ziele. Wenn wir 50 Prozent Erneuerbare in 2050 erreichen, den Rest aus Gas-, CO2-freien Kohle- und - warum eigentlich nicht - Fusionskraftwerken bereitstellen, werden wir weit vor allen vergleichbaren Industrienationen einschließlich USA und China liegen. Wir werden in der Lage sein, mit den konventionellen Kraftwerken die Schwankungen der Naturkraftwerke auszugleichen. Der Aufwand für Leitungen und Speicher wird trotzdem gigantisch sein.»
Was sind denn die größten Hürden?
Vahrenholt: «Allein um die von mir vorgeschlagenen 20.000 MW aus der Nordsee zum Beispiel nach München zu transportieren, sind 20 neue Hochspannungsleitungen von Nord nach Süd erforderlich. Wir bräuchten selbst im 50-Prozent-Szenario die Speicherleistung Norwegens, Österreichs und der Schweiz zusätzlich. Das wird schwierig genug und führt zum gleichen, doch eigentlichem Ziel: Einer nahezu CO2-freien Stromerzeugung in Deutschland. (...) Nebenbei: Im UBA-Szenario wären die Stromkosten so extrem hoch, dass es eine deutsche Metall-, Fahrzeug-, Glas- und Chemieindustrie nicht mehr gäbe. Wir holen das dann aus China. Mit 80 Prozent fossiler Stromerzeugung.» (dpa)