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15.01.2011 | 19:15 | Dioxin-Skandal 

Neue Dimension im Dioxin-Skandal: 1.000 Höfe neu gesperrt

Berlin/Hannover - Fast 1.000 Höfe sind bundesweit zusätzlich gesperrt. Ein Tierfutterhersteller im niedersächsischen Damme soll Lieferdaten nicht an die Behörden gemeldet haben.

Futtermittelproben
Das Unternehmen war Kunde des Futtermittelproduzenten Harles und Jentzsch, der den Dioxin-Skandal verursacht haben soll. Das Futter sei an 934 Betriebe gegangen, auch in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Bayern, teilte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) am Samstag mit. Sie forderte wegen einer Informationspanne personelle Konsequenzen in Niedersachsen und stellte CDU-Ministerpräsident David McAllister ein Ultimatum bis Samstagabend.

Aigner hatte am Freitag das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Oldenburg besucht, wurde aber erst am Samstagmorgen über die neuen Fälle informiert. «Dass die Landesbehörden bei ihren Ermittlungen erst nach mehr als zwei Wochen diesem Lieferanten auf die Spur kommen, ist das eine. Dass mir als Bundesministerin diese neue Dimension jedoch am Freitagabend bei meinem Besuch vor Ort verschwiegen wurde, ist das andere», sagte sie. «Deshalb braucht es personelle Konsequenzen.»

Aigner erwähnte den Präsidenten des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Eberhard Haunhorst, Agrarstaatssekretär Friedrich-Otto Ripke und den kommissarischen Agrarminister Hans-Heinrich Sander (FDP) mit Blick auf das Treffen. Sie ließ aber offen, gegen wen sich ihre Rücktrittsforderung richtet.

Das Agrarministerium in Hannover wies die Vorwürfe zurück. «Ich bin nicht erfreut, werde aber eine saubere Abwicklung im Sinne des Verbraucherschutzes weiter betreiben. Ich arbeite weiter», sagte Ripke der Nachrichtenagentur dpa. Er sei am Freitagabend über die Sperrung zusätzlicher Höfe informiert worden und habe dann auch das Bundesministerium in Berlin informiert.

Der Futterhersteller in Damme leitete nach Angaben des Agrarministeriums in Hannover erst auf Druck der Behörden vollständige Lieferdaten weiter. Nach diesen neuen Informationen seien am Freitagabend weitere Höfe vorsorglich gesperrt worden, sagte ein Sprecher. In Niedersachsen dürften derzeit rund 900 Betriebe keine Waren vermarkten. Das Ministerium geht davon aus, dass etwa zehn Tage lang vor allem Eier auf den Markt gelangt sein könnten. Unter den gesperrten Höfen sind laut Bundesministerium 110 Legehennenbetriebe, 403 Schweinemastbetriebe und 248 Ferkelmastbetriebe.

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg nahm Ermittlungen gegen den Futterhersteller auf und ließ die Geschäftsräume durchsuchen. Die Beamten wollten Beweismaterial sicherstellen, sagte Staatsanwältin Carolin Castagna. Zu den durchsuchten Firmen gehörten zwei Betriebe in Damme sowie je ein Betrieb in Soltau und Steinfeld.

Aigner war selbst unter Druck geraten, weil sie erst nach einigen Tagen öffentlich auf den Skandal reagiert und zunächst auf die Länder verwiesen hatte. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) soll sich laut Medienberichten verärgert gezeigt haben, welches Bild dies in der Öffentlichkeit erzeugt. Laut Regierungssprecher Steffen Seibert stützt sie aber Aigners Vorgehen.

Bauernpräsident Gerd Sonnleitner rechnet mit einem Schaden von mehr als 100 Millionen Euro wegen der Sperrung von Höfen. Ein Mehrfaches an Schaden gebe es aber durch Umsatzeinbrüche bei Schweinefleisch und Eier, sagte er der dpa. Sonnleitner kritisierte den Futterhersteller in Damme «Ein solches Verhalten ist ungeheuerlich. Eine solche Geschäftsführung gehört mit lebenslangem Berufsverbot belegt.»

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier attackierte die Bundesregierung für ihr Krisenmanagement: «Die Regierung versagt, solange die Menschen an jedem neuen Tag erfahren müssen, was sie am Tag zuvor nicht hätten essen sollen», sagte er der «Passauer Neuen Presse». Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) reagierte skeptisch auf die Forderung, den Strafrahmen bei Panscherei mit Futtermitteln auszuweiten. Vorbeugung habe Priorität.

Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn lobte Aigner für die Forderung nach personellen Konsequenzen. «Man hat ja das Gefühl, dass in dem Bundesland, wo das meiste Fleisch erzeugt wird, nicht genau hingeguckt wird, wie das passiert», sagte sie dem Berliner «Tagesspiegel am Sonntag».

Bei der Suche nach der Herkunft der Dioxin-Belastung hat sich möglicherweise eine neue Spur ergeben. Das Dioxin-Muster aus Fett- Analysen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein erinnere an das sogenannte Kaolin, sagte der Stuttgarter Wissenschaftler Prof. Hans Schenkel und erläuterte einen Bericht des Nachrichtenmagazins «Focus». Kaolin ist ein weißes, auch in der Papier- und Porzellanherstellung verwendetes Gestein.
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