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08.05.2021 | 04:42 | Fangquoten 

Brexit-Streit bei Jersey eskaliert

Saint Helier - Kumpelhaft stießen der britische und der französische Außenminister noch am Dienstag ihre Ellbogen aneinander.

Großbritannien
Gut vier Monate nach dem finalen Brexit liefern sich Großbritannien und Frankreich vor der Insel Jersey eine Machtprobe erster Güte. Offiziell geht es darum, wem wie viel Fisch zusteht. Was steckt tatsächlich hinter dem Scharmützel? (c) proplanta
«Großbritannien und Frankreich sind enge Partner und langjährige Freunde», twitterte der Brite Dominic Raab, der seinen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian beim G7-Ministerrat traf.

Keine 48 Stunden später schickte die britische Regierung Kriegsschiffe zur Kanalinsel Jersey nahe der Küste Frankreichs, wenig später folgten Patrouillenschiffe der Franzosen. Der Grund, knapp zusammengefasst: Der Brexit-Streit ist eskaliert, und das ziemlich schnell und ziemlich heftig.

Für Zündstoff sorgt die Frage, die auch in den Brexit-Verhandlungen bis zuletzt eine der strittigsten war: Wer darf wo und wie viel fischen? Die Regierung der Insel Jersey, die zwar zur britischen Krone, aber nicht zum Vereinigten Königreich gehört, hatte kürzlich mehr als einem Dutzend französischer Fischer die Lizenz zum Fischen verweigert. Diese sollten Berichten zufolge wohl nicht ausreichend nachgewiesen haben, dass sie auch in früheren Jahren regelmäßig in der See vor Jersey gefischt haben, die Bedingung für eine Lizenz.

Frankreich hingegen wirft Jersey vor, die Vergaberegeln seien undurchschaubar, nicht vertragsgemäß und viel zu restriktiv. Als Vergeltung drohten die Franzosen zwischenzeitlich sogar, den Menschen auf Jersey den über ein Unterseekabel gelieferten Strom abzudrehen.

Mehr als 50 französische Fischer beschlossen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen: Mitten in der Nacht zum Donnerstag schipperten sie los, um ihre Wut nach Jersey zu tragen. «Es war wie eine Invasion», sagte der auf der Insel ansässige Fischer Josh Dearing, der britischen Nachrichtenagentur PA. Mit Bannern und brennenden Fackeln machten die Franzosen ihrem Ärger Luft und blockierten zeitweise den Hafen in Saint Halier - in Sichtweise der schwer bewaffneten Schiffe der Royal Navy, die Premier Boris Johnson geschickt hatte.

Nach ein paar Stunden war der Spuk erst einmal vorbei. Nachdem die Fischer ihre Blockade beendet hatten, zog Johnson auch die Marine ab. Die Situation sei vorerst geklärt, erklärte das Büro des Premierminister am Donnerstagabend. Man bleibe aber «in Bereitschaft». Denn der Grundsatzkonflikt dürfte weiter schwelen.

Die Sorgen der Fischer sind für Johnson wie auch für die französische Regierung ein heikles politisches Thema. Der britische Premier konnte mit dem Marine-Einsatz just vor dem heimischen Wahltag seine Entschlossenheit im Kampf für heimische Interessen demonstrieren. Gerade in Schottland, wo Regierungschefin Nicola Sturgeon für die Unabhängigkeit vom Königreich trommelt, leben viele Fischer, die sich von Johnson verraten und verkauft fühlen.

Die Briten wollen als Insulaner nach dem Brexit ihre Gewässer am liebsten für sich alleine haben, doch insbesondere die benachbarten Franzosen, die seit Jahrzehnten in diesen Meeren fischen, stellten sich in den Brexit-Verhandlungen quer.

Der für beide Seiten schmerzhafte, in letzter Minute getroffene Kompromiss: Während einer Übergangsphase von fünfeinhalb Jahren dürfen EU-Fischer in britischen Gewässern immer noch 75 Prozent der Menge von früher fischen. Anschließend sollen die Quoten jährlich festgelegt werden.

Dass bei der Umsetzung des kurz vor Weihnachten geschlossenen Handelspakts Probleme entstehen, ist keine Überraschung. Die EU pochte deshalb für den Streitfall auf ein fein ziseliertes Verfahren: Erst gibt es «nach Treu und Glauben Konsultationen» zwischen London und Brüssel. Nützt das nichts, kann ein Schiedsgericht beantragt werden. Wird dessen Entscheidung nicht eingehalten, «so kann die Beschwerde führende Vertragspartei ihre eigenen Verpflichtungen in verhältnismäßiger Weise aussetzen».

Im Klartext: Es können nach einem sehr langwierigen Prozedere unter anderem Strafzölle verhängt werden. Nach ein paar Tagen bereits Kriegsschiffe in Bewegung zu setzen - davon ist in dem mehr als 1.000 Seiten starken Abkommen nicht die Rede. Im übrigen ist aus Brüsseler Sicht immer nur Brüssel für die Durchsetzung des Handelspakts zuständig.

Die EU-Kommission mahnte die Konfliktparteien dann auch schnell, sich zurückzuhalten - mit sanfter Rückendeckung für das Mitglied Frankreich. «Die Kommission hat Großbritannien klargemacht, dass die Vorgaben des Handels- und Kooperationsabkommens nicht respektiert wurden», erklärte die Behörde. Bis zu einer weiteren Begründung aus London sollten die Auflagen nicht gelten.

Frankreich steuert - wie schon bei den Brexit-Verhandlungen - einen Hardliner-Kurs. Die Warnung von Meeresministerin Annick Girardin, notfalls Vergeltung zu üben und Jersey den Strom abzudrehen, war aus Sicht von Beobachtern eine gezielte Provokation. Für das Land geht es nach dem britischen EU-Austritt um wirtschaftliche Interessen, die Fischerei gehört dazu.

«Für uns hat der Schutz unserer Fischer und unserer Interessen Vorrang», erklärte der Élyséepalast. «Wir geben nicht nach», betonte der beigeordnete Minister für Handel, Franck Riester, am Freitag im Sender Sudradio. Paris betrachte die britischen Entscheidungen im Streit um die Fischereilizenzen als «null und nichtig.»

Die Pariser Machtzentrale ist gleichzeitig daran interessiert, den Streit mit dem Nachbarn nicht auf die Spitze zu treiben. «Wir wollen zur Gelassenheit und Beruhigung zurückkehren», versicherte das Amt von Staatschef Emmanuel Macron.

Die Reibereien mit den Briten sind auch deshalb brisant, weil beide Länder Atommächte sind und über Armeen verfügen, die international einsetzbar sind. London und Paris haben jeweils einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und spielen deshalb in der internationalen Sicherheitspolitik eine besondere Rolle. Macron hat stets versichert, dass man bei Sicherheit und Verteidigung weiter eng mit Großbritannien zusammenarbeiten werde - auch nach dem Brexit.
dpa
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