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23.08.2010 | 21:23 | Tage des Schreckens  

Fünf Jahre nach «Katrina»: Hoffnung und schlecht vernarbte Wunden

New Orleans - In den Häuserreihen der Lower Ninth Ward klaffen Lücken, oft hat die Natur mit dichtem Unkraut Raum zurückerobert.

Tornado
(c) yaha vibe - fotolia.com
An Türen, Mauern, mit Brettern verrammelten Fenstern legen gesprayte Kreuze und Daten noch immer Zeugnis ab, dass man hier einst nach Überlebenden und Toten suchte. Zum quirligen Stadtzentrum von New Orleans sind es nur wenige Autominuten - aber der Stadtteil Lower Ninth Ward ist auch fünf Jahre nach dem Zerstörungszug des Hurrikans «Katrina» eine andere Welt.

Wenn US-Präsident Barack Obama am kommenden Sonntag New Orleans besucht, dem Jahrestag der Katastrophe, liegen Wiederaufbau und tragische Erinnerung, neue Hoffnung und schlecht vernarbte Wunden dicht an dicht in der Jazzmetropole im Mississippi-Delta. Leicht waren die Jahre seither nicht - nach «Katrina» bedrohten andere Hurrikane die Region, und den jüngsten Nackenschlag versetzte der Stadt dann noch die schlimmste Ölpest der US-Geschichte. «Es ist, als ob man uns ein Fadenkreuz auf den Rücken gemalt hätte», sagt Brittanie Bryant, Managerin eines Souvenirladens in der Stadt.

Aber: «New Orleans ist auf jeden Fall wieder auf den Beinen», urteilt Jim Amoss, Chefredakteur der Tageszeitung «Times-Picayune». «Vor fünf Jahren hätte niemand gedacht, dass es mal so wird wie jetzt.» New Orleans selbst hat sich mit rund 355.000 Einwohnern auf knapp 80 Prozent des früheren Standes erholt. Die Kehrseite: «Zur Normalität sind wir noch nicht zurückgekehrt, weil einige Viertel noch nicht wieder so bewohnt sind wie einst», sagt Amoss.

Wie in der Lower Ninth. Nirgendwo schlug der Monstersturm tödlicher zu, als er am 29. August 2005 wie eine Gigantenfaust auf New Orleans und die US-Golfküste niederging. Mehr als 1.800 Tote forderte die Katastrophe, beinahe die Hälfte von ihnen lebte in der Lower Ninth, wo die Bewohner schwarz sind und viele arm. Gerade ein Viertel der Einwohnerzahl von vor «Katrina» wohnt nun dort.

Viele der Bilder, die die Welt schockten, kamen von hier, als der Sturm die lebenslustige Jazzmetropole zu 80 Prozent unter Wasser setzte, 134.000 Häuser beschädigte oder zerstörte, nachdem er zuerst 1,3 Millionen Menschen der Region in die Flucht getrieben hatte. Als «Katrina» um 6.10 Uhr mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 200 Stundenkilometern auf Land trifft, ist die Stadt erschreckend schlecht vorbereitet. New Orleans ist von Wasser umgeben und liegt größtenteils unter dem Meeresspiegel. Konstruktionssünden an den Schutzwällen rund um die Stadt werden zum tödlichen Verhängnis, als New Orleans wie eine Badewanne vollläuft. Man zählt mehr als 50 Deichbrüche.

Nicht, dass die katastrophalen Folgen völlig überraschend gewesen wären. Schon Jahre vor «Katrina» hatten Experten gemahnt, dass die Dämme einem schweren Hurrikan der Stärke 3 und darüber nicht standhalten. «Das Dammsystem war nur dem Namen nach ein System. Es gab eine ganze Reihe von Problemen, die nie korrigiert wurden», sagte der preisgekrönte Umweltjournalist Mark Schleifstein.

Die örtlichen Behörden setzen Evakuierungspläne zu zögerlich um. Auch Washington und vor allem die Behörde für Katastrophenmanagement (FEMA) scheint planlos, gelähmt, chaotisch. Die Koordinierung der Hilfe dauert Tage. Das Stadion der Stadt, der «Superdome» wird zur letzten Zufluchtstätte für 30.000 Menschen - und zu einem Symbol der Schande. Es dauert lange, bis Nahrung angeliefert wird, die sanitären Bedingungen sind kaum menschenwürdig.

Der US-Kongress gibt nach einer Untersuchung den Behörden auf allen Ebenen - lokal, bundesstaatlich und in Washington - die Schuld für das Desaster. Für Präsident George W. Bush wird die Katastrophe zu einem entscheidenden politischen Sargnagel. Den Gesamtschaden beziffert das Datenzentrum für den Großraum New Orleans (GNOCDC) auf 151 Milliarden Dollar (116 Mrd Euro) - der teuerste Hurrikan der US-Geschichte und der tödlichste seit 75 Jahren.

Die Erinnerung ist noch immer wach. Kommt ein Hurrikan, steigt die Nervosität schneller als vor «Katrina». «Wenn ich Donner höre und Blitze sehe, und der Wind an meinem Haus rüttelt, verstecke ich mich unter der Decke», schreibt jemand in einem Blog der «Times-Picayune».  «Seit "Katrina" scheine ich äußerlich stärker. Aber ich zittere bis ins Mark, wenn sich ein Sturm zusammenbraut», vermerkt ein anderer.

Wird es New Orleans künftig anders ergehen, sind die Menschen sicherer, die Lektionen aus der Katastrophe vor fünf Jahren gelernt? Knapp 15 Milliarden Dollar stellte der Kongress für höhere und neue Wälle, Fluttore und weiteres Abwehrarsenal gegen die Naturgewalt zur Verfügung. Im Juni nächsten Jahres soll das generalüberholte System fertig sein - und die Stadt vor den Folgen eines «Jahrhundert- Hurrikans» bewahren - das allerdings schließt keine Horror-Stürme wie «Katrina» ein, die Statistiker in der Gegend östlich von New Orleans alle 250 Jahre erwarten.

«Die Stadt ist jetzt besser geschützt. Aber angemessen ist es nicht, angesichts der Risiken, denen sie ausgesetzt ist», urteilt Schleifstein nüchtern. Dennoch wird es wieder Menschen geben, die nicht gehen wollen - aus Geldnot, weil sie alte Menschen im Haus pflegen, aus Angst um ihre Hab und Gut. «Im Falle einer zweiten Sturms des Ausmaßes von "Katrina"», sagte er, «wird es wieder Tote geben.» (dpa)


Hintergrund.

New Orleans - ohne Hochwasserschutz kein Überleben

Die lässige Lebenshaltung ihrer Bewohner brachte der US-Südstaatenmetropole New Orleans im Bundesstaat Louisiana den Namen «The Big Easy» ein. Ihre Lage im Mississippi-Delta zwischen dem mächtigsten Fluss Nordamerikas und dem Pontchartrain-See macht die Stadt jedoch anfällig für Überschwemmungen: 70 Prozent liegen unter dem Meeresspiegel. Seit der Gründung im Jahr 1718 muss New Orleans mit entsprechendem Hochwasserschutz Vorsorge treiben.

Unvergessen ist der Hurrikan «Katrina». Nach Deichbrüchen wurde die Stadt zu 80 Prozent überflutet. In New Orleans sind 134.000 Häuser, 70 Prozent, von den Fluten betroffen. Für viele Bewohner, insbesondere Afroamerikaner, sind die Folgen bis heute noch nicht überwunden. Das besonders schwer getroffene Viertel Lower Ninth Ward ist fünf Jahre nach dem Sturm erst wieder zu 25 Prozent bewohnt.

New Orleans ist mit rund 355.000 Einwohnern (Juli 2010) die größte Stadt von Louisiana. Ihr Hafen ist ein bedeutender Außenhandelsplatz für Erzeugnisse aus den Mississippi-Staaten wie Stahl, Baumwolle und Zucker. Wichtige Einnahmequellen sind Tourismus und Gastronomie. Die Altstadt (French Quarter) mit ihrer französisch und spanisch beeinflussten Architektur zieht auch nach «Katrina» wieder Hunderttausende Touristen an. New Orleans gilt als Heimat des Jazz, dessen erste voll ausgebildete Stilrichtung sich Ende des 19. Jahrhunderts hier entwickelte.
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