Der Stallbetreiber erwischte die Einbrecher, rangelte mit einem 27-Jährigen. Der Putenhalter wird verletzt, die Polizei nimmt Aktivisten fest. «Heftig», bilanziert ein Polizist nach dem Einbruch bei Schwäbisch-Hall.
Tierschutz läuft nicht nur über Unterschriftenaktionen, Mahnwachen und friedliche Proteste. Aktivisten dringen bundesweit auch immer wieder in Massentierhaltungsbetriebe ein, um die aus ihrer Sicht miserablen Zustände ans Tageslicht zu bringen. Auch Morddrohungen werden im Namen der Tiere verfasst, sogar Brandschläge gab es schon.
Das Bundeskriminalamt verzeichnete von 2010 bis 2014 insgesamt 958 Straftaten radikaler Tierschutz-Aktivisten. Tierschutzorganisationen sprechen bei ihren Filmaufnahmen dagegen meist von Recherchen - nicht von Einbrüchen. Tierhalter sind besorgt. Auch der Tübinger Hirnforscher Nikos Logothetis wurde monatelang wegen seiner Versuche an Affen bedroht und angefeindet. Vor kurzem erklärte er, künftig nur noch mit Ratten experimentieren zu wollen.
Nicht nur Menschen, auch Tiere kommen mitunter bei militanten Aktionen zu Schaden. Die in Großbritannien gegründete «Animal Liberation Front» setzte etwa 2009 mit 20 Brandsätzen einen Zoo in Norditalien in Flammen. Es gehe um ihren Kampf gegen «inhaftierte Vögel», hieß es in einem Bekennerschreiben der Tierbefreier. Etwa 40 Mäusebussarde, Falken und Eulen kamen im Feuer ums Leben.
Im Hühnerland Niedersachsen berichtet das Landeskriminalamt von Feld- und Bauplatzbesetzungen, Schlachthofblockaden und Sabotage. Eine Minderheit von Tierrechtlern verfolgt laut Polizei auch extremistische Ziele. «Die Anwendung von Gewalt gegen Sachen wird als legitimes Mittel im Kampf gegen die Unterdrückung der Tiere und zur Durchsetzung der Tierrechte angesehen», berichtet LKA-Sprecher Frank Federau. So habe die «Animal Liberation Front» allein in Niedersachsen zwischen Juli 2011 und Dezember 2012 fünf Brandanschläge verübt.
In jüngster Zeit gab es nun gleich mehrere Einbrüche in konventionelle Putenmastbetriebe im Südwesten. «Uns lassen diese Vorfälle mit Sorge zurück», sagt Christiane von Alemann vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft. «Dieser Aktivismus ist zu verurteilen, weil er nichts mit Tierschutz zu tun hat.»
Bei einem Einbruch in Leutenbach im Kreis Rems-Murr geraten Montagnacht die Puten in Panik, 250 Tiere sterben. «Die nehmen Leid und Tod der Tiere in Kauf», kritisiert von Alemann. Zwar wollen die Ermittler noch nicht bestätigen, ob in Leutenbach ebenso wie im Kreis Schwäbisch-Hall radikale Aktivisten am Werk waren. «Aber die Vermutung liegt nahe», sagt ein Beamter.
Organisierte Tierschützer distanzieren sich deutlich von den gewaltsamen Vorfällen. «Wir lehnen jegliche Form von Gewalt ab», sagt Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund. Dabei könne sie die Beweggründe militanter Aktivisten nachvollziehen: «Viele - insbesondere junge - Menschen verzweifeln mehr und mehr daran, in welch ungeheurem Maße unsere Gesellschaft Tierleid produziert, toleriert und in manchen Bereichen sogar fördert.» Die Tierschützer stemmen sich seit Jahren gegen Massentierhaltung, gegen die Tötung männlicher Küken und überzähliger Ferkel, das Kastrieren von Ferkeln, gegen das Stutzen der Schnäbel bei Geflügeltieren. Auch die Politik hat inzwischen Vorstöße unternommen.
Aber warum radikalisieren sich Tierschützer? Das habe nicht zwangsläufig mit der Liebe zu Tieren, sondern auch mit Gerechtigkeitsbewusstsein zu tun, meint Tierethikerin Hilal Sezgin, die bei Lüneburg lebt. «Sie sehen die Ähnlichkeit zum Menschen, dass Tiere auch Individuen sind. Und sie sehen Unrecht und Gewalt.» Sie spricht bei Filmaufnahmen nicht von Einbrüchen, sondern von «investigativem Journalismus», mit dem Gesetze weniger verletzt als Gesetzesverstöße aufgedeckt werden. Nur sehr selten sei bisher jemand verletzt worden.
«Pfefferspray ist inakzeptabel», sagt auch Friedrich Mülln von der «Soko Tierschutz». Seine Organisation filmte vergangenes Jahr in einen Putenmastbetrieb im bayerischen Kreis Dillingen. «Die ganze Putenhaltung in Deutschland ist illegal, die Tiere müssen leiden, werden verstümmelt», sagt er. Mülln spricht ebenfalls nicht von Einbrüchen, sondern von Recherchen. Jedes Jahr gebe es bundesweit Hunderte solcher nächtlicher Aktionen. «Die Leute haben ein verdammtes Recht darauf, zu erfahren, was sie essen.» (dpa)