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27.06.2022 | 16:11 | Leguminose 

Gehegte und gehasste Pflanzen: Lupinen in Deutschland

Oberelsbach/Triesdorf - Bis zu acht Stunden täglich, immer wieder auf Knien, gebeutelt von Zecken und Bremsen, dem Wetter ungeschützt ausgesetzt: Philipp Frickel (29) und sein Vater Gerd Frickel (61) sind nach ihrem Arbeitstag auf den bunten Bergwiesen der Hochrhön platt.

Lupine
Die einen rupfen sie raus, weil sie Dagewesenes zerstört. Andere pflegen sie mit Hingabe, um Neues zu schaffen: Die Lupine wird abhängig von ihrer Art gehasst oder geliebt. (c) proplanta
Seit Mai haben es die beiden Landschaftspfleger mit ihrem etwa zehnköpfigen Team im Unesco-Biosphärenreservat auf die eingeschleppte Stauden-Lupine (Lupinus polyphyllus) abgesehen.

In der Rhön, einem Mittelgebirge zwischen Bayern, Hessen und Thüringen, kämpfen Naturschützer seit Jahren gegen die sich immens ausbreitende Pflanze. Lupine ist aber nicht gleich Lupine. Denn während die eine Art stört, wird die andere auf dem Feld angebaut - und dient nicht nur als Tierfutter, sondern auch als Basis veganer Speisen oder gar Kaffee. Es lohnt ein Blick auf eine Pflanzengattung, die je nach Spezies Wut und Begeisterung auslöst.

Mit einem Ampferstecher heißt es auf der Bergwiese: reinstechen, lupfen, kippen - und im Idealfall ist die Stauden-Lupine samt Pfahlwurzel aus der Erde.«Es muss sehr präzise, sehr sauber gearbeitet haben», erklärt Philipp Frickel. Denn bleiben Wurzelteile zurück, war die Arbeit umsonst. «Die bilden einfach neue Pflanzen, und nächstes Jahr habe ich hier plötzlich zwei Lupinen.» Bis zu 50.000 Pflanzen wollen sie bis Oktober ausgraben.

Ehrenamtliche sind mit der Sense unterwegs und entfernen zwischen Arnika, Teufelskralle und Orchideen einzeln stehende Lupinen, die giftige Alkaloide enthalten - und damit für die meisten Tiere und den Menschen als Nahrung nicht taugen.

Eine zu einem Riesenmäher umgebaute Pistenraupe greift auf den nassesten, nährstoffarmen, aber artenreichen Wiesen da an, wo Handarbeit nichts mehr nützt. Und die hauptamtlichen Ausgräber rund um die Frickels rücken mit dem Unkrautstecher an, wenn nur noch wenige Exemplare übrig sind. «Wir nennen sie «Soko Lupine». Die geben der Lupine sozusagen den Todesstoß», erzählt Torsten Kirchner, Biologe und Gebietsbetreuer des Hochplateaus namens Lange Rhön, der bei der Wildland-Stiftung Bayern des Bayerischen Jagdverbandes beschäftigt ist.

Von dem rund 3.000 Hektar großen, offenen Hochplateau sind bis zu 700 Hektar durch die Stauden-Lupine bedroht. Da die Pflanze Luftstickstoff binden könne, würden die kräuterreichen Bergwiesen mit Nährstoffen angereichert und für viele Jahre verändert, erklärt Kirchner. Stickstoffliebende Pflanzen wie die Brennnessel, der Stechende Hohlzahn oder das Kletten-Labkraut folgten und verdrängten Arnika, Trollblume und Co. - das Landschaftsbild verändert sich. Nimmt die Stauden-Lupine überhand, könnten Brutgebiete für seltene Vogelarten verloren gehen.

Doch es gibt auch begehrte Lupinen. «Im Gegensatz zu den Wildformen sind Süßlupinen bitterstoffarm, das heißt der Alkaloidgehalt im Korn liegt unter 0,05 Prozent», schreibt die bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Bis in die 1990er Jahre sei der Lupinen-Anbau auf Deutschlands Feldern durchaus verbreitet gewesen, sagt Markus Heinz, Leiter der Abteilung Pflanzenbau und Versuchswesen der Landwirtschaftlichen Lehranstalten des Bezirks Mittelfranken in Triesdorf. Doch dann habe eine Pilzkrankheit die Pflanzen heimgesucht und zu Totalausfällen für die Landwirte geführt. Der Anbau sei nahezu zum Erliegen gekommen.

In Triesdorf haben die Expertinnen und Experten 2001 begonnen, eigene Sorten der Weißen Lupine (Lupinus albus) zu züchten, die nicht anfällig für Pflanzenkrankheiten sind. Mit Erfolg, wie Heinz betont: 2019 sei es gelungen, zwei Sorten zuzulassen. «Das Interesse ist sehr groß», sagt der Experte. «Viele Landwirte beschäftigen sich intensiv damit.» Bislang ist die Lupine als Nahrungsmittel freilich ein klassisches Nischenprodukt. Deutschlandweit wurden nach LfL-Angaben auf rund 28.900 Hektar Lupinen angebaut. Zum Vergleich: Mais wuchs auf etwa 2,65 Millionen Hektar.

Heimische Lupinen werden vor allem als eiweißreiches Tierfutter verwendet und könnten damit ein Ersatz für Soja-Importe werden. Fütterungsversuche mit Milchkühen seien in Triesdorf sehr gut verlaufen, sagt Experte Heinz. Derzeit werde der Lupinen-Einsatz in der Schweine- und Rindermast erprobt.

Doch Lupinen-Produkte sind auch für die menschliche Ernährung geeignet: Lupinen-Eis als vegane Alternative zum Sahne-Eis oder Lupinenmehl als Alternative zu gemahlenem Getreide. Sabine Bittel vom Fachbereich für Ernährung und Hauswirtschaft der Triesdorfer Lehranstalten hat noch weitere Vorschläge: Den Lupinenkern könne man marinieren und als Salat verspeisen. Lupinenschrot, zehn Minuten gequellt, eigne sich als Hackfleischergänzung oder -ersatz. «Das Potenzial ist auf alle Fälle vorhanden», sagt Bittel.

Zudem hat man in Triesdorf damit begonnen, Lupinen zu rösten, zu mahlen und als Kaffee aufzubrühen. «Das funktioniert super», sagt Bittel. Der Fettgehalt sei ähnlich wie der von Kaffeebohnen, bei der Röstung entstehe ein nussiges Aroma. Lupinenkaffee sei von Natur aus koffeinfrei - und ein heimisches Produkt.

Und auch wenn vegane Ernährung im Trend liegt und sogar Discounter inzwischen Fleisch-Ersatzprodukte anbieten - «die Lupine muss man dem Verbraucher erst nahebringen», sagt Bittel. Das wichtigste an Alternativprodukten sei: «Sie müssen schmecken, sie müssen schmackhaft präsentiert werden.» In Triesdorf gebe es spezielle Kochkurse, bei denen erst der Lupinen-Anbau erläutert und dann mit Lupinen-Produkten gekocht werde.

Ob sich Lupinen für die Lebensmittelproduktion eignen, könne man erst nach der Ernte feststellen, wenn der Bitterstoffgehalt gemessen werden könne. Der müsse bestimmte Grenzwerte unterschreiten, erläutert Heinz. Ausgesät wird die Lupine von Mitte März an, geerntet werden kann sie Anfang September.

Auch der Bayerische Bauernverband sieht einen klaren Trend. «Der Anbau von Lupinen entwickelt sich in Bayern sehr positiv», sagt Anton Huber, Referent für Getreide und Ölsaaten. «Wir erwarten einen weiteren Anstieg der Anbaufläche.» Als Leguminose profitiere die Lupine von den derzeit hohen Kosten für Düngemittel - denn die Pflanze kann den Stickstoff der Luft nutzen und braucht keine Zufuhr.

Im Naturschutzgebiet Lange Rhön hofft Gebietsbetreuer Torsten Kirchner, dass in diesem Jahr wieder etwa 1.500 Stunden Freiwilligenarbeit zusammenkommen, um der Lupine peu à peu Herr zu werden. Mediengestalterin Katja DeHany aus dem hessischen Künzell etwa greift nun schon das sechste Jahr infolge zur Sense und stapft mit zwölf Gleichgesinnten an einem Abend Ende Juni über die teils meterhohen Wiesen. «Das ist wie ein Mini-Urlaub nach der Arbeit, ich mache das unheimlich gerne», erzählt die 52-Jährige.

Noch länger dabei ist der 69-jährige Burkard Volk aus dem fränkischen Bad Neustadt/Saale, der es ganz genau nimmt: «Das ist nicht sauber gemäht, das ist zu hoch», sagt er und zeigt auf eine Grünfläche mit abgetrennten Lupinen. «Damit tun wir uns keinen Gefallen. Je tiefer, desto besser - dass die Pflanze quasi ausblutet.»
dpa
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