Azoren-Hoch, 30 Grad. Die Ventilatoren im Büro werden uns anblasen wie der heiße Atem des Schirokko. Die Konturen des Brandenburger Tors werden in der flirrenden Mittagshitze zerfließen und Frankfurts Wolkenkratzer in der Abendsonne glitzern, als wären sie mit Blattgold überzogen.
Die jetzt noch bittergrauen Freibäder dürften in tropischem Türkis schimmern. Die Sonnenschirme auf den Balkonen werden scharf umrandete Schattenflecke werfen, das Amarena-Eis vom Italiener an der Ecke wird nach Positano schmecken, und das Fiepen der Ampeln bei Grün könnte wie Grillenzirpen klingen. Mit ein bisschen Fantasie.
Das alles sollte mehr sein als ein Fiebertraum bei Regen, denn der Deutsche Wetterdienst würde sich in der derzeitigen meteorologischen Notstandssituation sicher nicht zu leeren Versprechungen hinreißen lassen.
Der Sommer 2012 - möglicherweise ist er einfach nur ein Spätzünder. Mehr noch: Mann könnte sich zu der These versteigen, dass der schönste Sommer der späte, lang herbeigesehnte ist.
Den umgekehrten Fall hat man oft genug erlebt: Ein vielversprechender Auftakt, und das war's dann. Sommer? Hatten wir - April, April! - im Mai. Das ist noch schwerer zu ertragen.
Ein schöner später Sommer wäre der verdiente Triumph der Daheimgebliebenen. Denn lange nicht alle, vor allem keine Familien mit Kindern, können es sich ja leisten, in den Sommerferien gen Süden zu reisen.
Die im Regen stehen gelassenen Deutschland-Urlauber bekamen bisher in der beweglichen Wetterkarte nach den «Tagesthemen» jeden Abend vor Augen geführt, wie der Süden sonnengeplagt unter einer roten Glutglocke stöhnte, während sich in ihrer nordwesteuropäischen Schlechtwetterecke ein kühlblaues Tiefdruckgebiet an das andere reihte. Manche Länder haben den Rettungsschirm, andere den Regenschirm.
Die Deutschen kennen das. Goethe klagte 1786, als hätte er damals auch schon den Strömungsfilm nach den «Tagesthemen» gesehen: «Hier hat es die letzten Monate immer geregnet, und Südwest und Südost haben den Regen durchaus nordwärts geführt. In Italien sollen sie schön Wetter, ja zu trocken, gehabt haben.» Nichts Neues unter der Sonne - oder unter den Wolken.
«Wann wird's mal wieder richtig Sommer?», sang Rudi Carrell 1975. «Ja früher gab's noch hitzefrei/Das Freibad war schon auf im Mai. Es war hier wie in Afrika/Wer durfte, machte FKK.» Der richtige Sommer liegt immer in ferner Vergangenheit. Genauso wie der richtige Winter, der so hart war, dass man wochenlang eislaufen konnte und die Regierung Verhandlungen über die Einfuhr von Schneeräumern aus dem Ausland aufnahm.
Nun aber erst mal Sommer - laut Deutschem Wetterdienst. Die Sache hat nur einen kleinen Schönheitsfehler. Weniger robuste Naturen sollten die Vorhersage auf der Website besser nicht bis zu Ende lesen. Da heißt es nämlich: «Die meisten Modellrechnungen zeigen, dass das Hoch gegen Ende der Woche schon wieder nach Osten abgedrängt wird und sich erneut ein Tiefdruckgebiet über Skandinavien festsetzt.» Wenn das so kommt, dann wäre der Sommer wohl weniger ein Spätzünder als eine Lachnummer. (dpa)