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03.08.2013 | 16:04 | Autarkie in Luxemburg 

Gallisches Dorf in Luxemburg übt die Unabhängigkeit

Beckerich - Julia und Patrice biegen kraftvoll Weidenzweige auseinander, sie versuchen sich an neuen Flechtmustern.

Weide zum Körbeflechten
(c) proplanta
Mit den alten Korbflechttechniken haben die beiden Frauen gerade eine Gruppe niederländischer Touristen beeindruckt. Rund um die ländliche Fotomotiv-Idylle in Beckerich läuft seit Jahren eine sanfte Revolution ab, vorläufiger Höhepunkt: die Regionalwährung «Beki».

Stolz präsentiert Max Hilbert ein paar fast noch druckfrische «Beki»-Scheine. Rund 71.000 «Beki» seien inzwischen im Umlauf, sagt der 33-jährige Kommunikationswissenschaftler. Als Projektleiter ist er so etwas wie der Finanzminister der «Beki-Zone» im rund 16.000 Einwohner zählenden Kanton Redingen.

Ausgerechnet am Bankenplatz Luxemburg eine Konkurrenzwährung zum Euro? Hilbert winkt ab: «Das ist überhaupt nicht unser Ziel, das ist ganz klar komplementär zum Euro, eine Ergänzung.»

Ein «Beki» entspricht einem Euro und gilt in einem geschlossenen, als Verein organisierten und regionalen Wirtschaftskreislauf; er funktioniert dabei wie ein Gutscheinsystem. «Das war die Bedingung für die Anerkennung durch die Regierung», erläutert Hilbert.

Die Zahl der Mitglieder im Verein «de Kär» (der Kern) ist von 140 zum Start auf 354 gewachsen. Inzwischen wird der «Beki» in 54 Geschäften als Zahlungsmittel akzeptiert, vom Bäcker und Friseur bis zum Dachdecker und Reifenhändler. Für den Umtausch sorgen vier im Kanton vertretene Banken sowie die Post.

«Der Beki ist nur eine logische Konsequenz der Entwicklung», sagt Bürgermeister Camille Gira. Vor gut drei Jahrzehnten hat sich der heute 55-Jährige in den Rat einer Gemeinde wählen lassen, deren Aussterben besiegelt schien. «Am Anfang hat es keinen Plan gegeben, nur eine tiefe Krise». Seither setzt die Gemeinde auf eigene Ressourcen und vor allem intensive Bürgerbeteiligung.

Den neun Gemeinderäte stehen zehn ehrenamtlich besetzte «commissions consultatives» (Beratergremien) zur Seite, die die Entwicklung der Gemeinde in allen Bereichen von Wirtschaft über Umwelt, Jugend, Kultur, Sport bis zum sozialen Zusammenhalt planen.

«Es gibt zu allem eine Alternative», so das Credo des Bürgermeisters. Man müsse nur das Klima dafür schaffen. Und das funktioniert offenbar, wie die «Bevölkerungsexplosion» beweist: von unter 1.500 Einwohnern Anfang der 1980er Jahre auf aktuell mehr als 2.400. Der «Beki» ist für den Bürgermeister dabei nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Autarkie. «Die Grundphilosophie ist immer, regionale Kreisläufe zu schließen, den Mehrwert in der Region zu halten», betont Gira.

Zuerst habe die Gemeinde «die Energiewende selbst in die Hand genommen», eigene Strom- und Wärmeversorgung aufgebaut. «Wir wollen soweit wie möglich unabhängig von dem sein, was in der Welt geschieht. Wir sind nicht naiv, die Globalisierung existiert.» Diese könne - und wolle - man auch nicht rückgängig machen. In den nächsten 10 bis 15 Jahren solle es gelingen, unabhängig zu sein von Subventionen des Staates.

«Wir sind nicht gegen den Euro oder gegen Europa, aber wir sagen: daneben muss es noch etwas Zweites geben», sagt Hilbert. Regionale Identität und solidarisches Zusammenarbeiten sind seine Stichworte, die sich auch beim Rücktausch von «Beki» in Euro dokumentieren. Von der dabei fälligen Gebühr von fünf Prozent gehen drei Fünftel an soziale Projekte wie Behindertenwerkstätten für erwachsene Autisten.

Kauften die Menschen statt mit Kreditkarte im Supermarkt mit «Beki» im kleinen Dorfgeschäft, dann sei das nicht nur ein Anreiz für die Herstellung regionaler Produkte. Eine Regionalwährung sei auch ein soziales Kommunikationsinstrument, sagt Hilbert.

Ein modernes «gallisches Dorf» am Bankenplatz Luxemburg? «Der Vergleich hinkt ein bisschen, wir schotten uns nicht ab», sagen die Beteiligten. Aber dass sie inzwischen diesen Ruf genießen, «damit können wir leben». (dpa)
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