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02.07.2023 | 14:37 | Niedriglohnsektor 

Mindestlohn: Landwirtschaft zwischen Erleichterung und Unmut

Berlin - Der gesetzliche Mindestlohn soll in den nächsten beiden Jahren nur moderat steigen. Das hat die Mindestlohnkommission in dieser Woche gegen die Stimmen der Arbeitnehmerseite in dem paritätisch besetzten Gremium beschlossen.

Stundenlohn
Mindestlohnkommission beschließt moderate Erhöhungen für die kommenden beiden Jahre - Knappe Entscheidung - Landwirtschaftliche Arbeitgeber und Gartenbau erleichtert - Rukwied erwartet weitere Produktionsverlagerung ins Ausland. (c) proplanta
Zum 1. Januar 2024 soll demzufolge der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 12 Euro auf 12,41 Euro, zum 1. Januar 2025 dann auf 12,82 Euro brutto je Stunde angehoben werden. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat angekündigt, dem Vorschlag zu folgen und den Beschluss per Verordnung rechtsverbindlich umzusetzen.

Der Gesamtverband der deutschen land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA) zeigte sich erleichtert. Dennoch werde auch die maßvolle Erhöhung zu einer neuerlichen Belastungsprobe für die Landwirtschaft.

Die Mindestlohnkommission habe erkannt, wie knapp die Unternehmen bereits kalkulieren müssen, hieß es beim Zentralverband Gartenbau (ZVG) in Berlin. Für den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, ist selbst die moderate Anhebung des Mindestlohns „unzumutbar“.

Nicht tragbare Belastung



„Auch wenn die vorgeschlagene Steigerung auf den ersten Blick moderat ausfällt, wird sie zu einer nicht tragbaren Belastung für unsere Betriebe“, warnte Rukwied. Der Bauernpräsident wies darauf hin, dass der Mindestlohn schon jetzt in Deutschland wesentlich über dem in anderen Ländern liege.

Beispielsweise beträgt der Mindestlohn in Griechenland 4,12 Euro und in Spanien 6,55 Euro. Daraus resultieren laut Rukwied beispielsweise im Weinbau Arbeitskosten, die in Deutschland um rund 2 400 Euro pro Hektar höher lägen als auf der iberischen Halbinsel. Dies werde sich mit dem aktuellen Beschluss noch verschärfen.

In der Folge werde die Zahl der hiesigen arbeitsintensiven Betriebe im Obst-, Gemüse- und Weinbau weiter zurückgehen; noch mehr Erzeugung werde ins Ausland verlagert, befürchtet der DBV-Präsident. Er bekräftigte seine Forderung nach einem europäischen Mindestlohn, räumte aber ein, dass dieses Ziel derzeit wenig realistisch sei.

Besonnene und maßvolle Entscheidung



„Wir begrüßen es außerordentlich, dass die Mehrheit der Mindestlohnkommission dem massiven Druck der Politik, Gewerkschaften und Sozialverbände nicht nachgegeben hat, den Mindestlohn auf 13,50 Euro oder gar 14,00 Euro anzuheben“, erklärte GLFA-Präsident Hans-Benno Wichert. Man erwarte nun, „dass die Politik diese besonnene und maßvolle Entscheidung der Mindestlohnkommission anerkennt und nicht erneut durch gesetzgeberische Maßnahmen untergräbt.“

Wichert wies ebenso wie Rukwied darauf hin, dass die Sonderkulturbetriebe schon jetzt unter einem enormen Wettbewerbsdruck durch ausländische Ware stünden, die zu deutlich geringeren Mindestlöhnen und Sozialstandards produziert werde. Dieser Druck werde sich mit der vorgeschlagenen Mindestlohnanhebung noch erhöhen. Damit droht auch aus seiner Sicht eine weitere Abwanderung der Produktion ins europäische und nicht europäische Ausland.

„Zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit muss die Politik dringend für eine Kostenentlastung der Unternehmen sorgen“, mahnte der Arbeitgeberpräsident. Dies gelte vor allem bei den Lohnnebenkosten. Ständige Beitragserhöhungen wie zu Jahresbeginn in der Kranken- und Arbeitslosenversicherung und zum 1. Juli in der Pflegeversicherung führten neben der Anpassung des Mindestlohns zu einem weiteren Anstieg der Arbeitskosten und einer Schwächung des Standorts Deutschland. Hier müsse mit grundlegenden Strukturreformen entgegengewirkt werden.

Einfache Tätigkeiten in der Saisonarbeit



Nach Angaben von ZVG-Generalsekretär Bertram Fleischer hat bereits der Sprung auf 12 Euro pro Stunde im Oktober letzten Jahres eine Vielzahl der gärtnerischen Betriebe vor große Herausforderungen gestellt. Für die Verbraucher seien diese Auswirkungen noch nicht komplett spürbar, da die Verträge mit Handel und Verarbeitung in der Regel weit im Vorfeld abgeschlossen worden seien.

Im Laufe dieses Jahres würden allerdings viele Kulturen erstmals unter den neuen Bedingungen geerntet, während gleichzeitig in den Medien über gestiegene Lebensmittelpreise berichtet werde. Von diesen Preissteigerungen komme allerdings bei den meisten Produzenten nichts oder nur sehr wenig an. Fleischer erläuterte, dass sich der Mindestlohn im Gartenbau vor allem auf einfache Tätigkeiten in der Saisonarbeit auswirke, die noch nicht oder gar nicht automatisiert werden könnten.

Der Generalsekretär regte an, über differenzierte Lösungen in diesem Lohnsegment nachdenken. Seinen Angaben zufolge würden viele Betriebe gerne die Entlohnung von Fachkräften deutlicher erhöhen. Allerdings müssten die Kosten auch erwirtschaftet werden, nicht nur die Lohnkosten. Bereits seit Jahren stünden die Gartenbaubetriebe unter enormem Wettbewerbsdruck, gerade auch innerhalb der EU.

Hinzu kämen erheblich gestiegene Kosten im Bereich der CO2-Bepreisung, bei Energie oder auch bei Betriebsmitteln. Gleichzeitig wolle die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag die regionale deutsche Produktion fördern. „Hier braucht es von Seiten der Politik deutlich mehr Unterstützung für die Betriebe“, mahnte Fleischer.

Schwaches Wirtschaftswachstum



Die Mindestlohnkommission begründet ihre Empfehlung mit dem gegenwärtig schwachen Wirtschaftswachstum und der anhaltend hohen Inflation in Deutschland. Beides stelle für Betriebe und Beschäftigte gleichermaßen große Herausforderungen dar. Für das Gesamtjahr 2023 werde eine Stagnation des Wirtschaftswachstums erwartet.

Für das Jahr 2024 gingen die aktuellen Prognosen von einer moderaten wirtschaftlichen Erholung aus. Die Inflation habe im Jahr 2022 mit einer Höhe von 6,9 % einen historisch hohen Wert erreicht. Der Bundestag hatte im Oktober 2022 beschlossen, den Mindestlohn von damals 10,45 Euro auf 12 Euro zu erhöhen. Dadurch war das regelmäßige Anpassungsverfahren durch die Mindestlohnkommission vorübergehend ausgesetzt worden.

Die Mehrheit der Mindestlohnkommission hat nun den Anstieg des Tarifindex auf den Wert der letzten Entscheidung der Mindestlohnkommission von 10,45 Euro angewandt und zugleich den durch den Gesetzgeber veranlassten Anstieg von 1,55 Euro berücksichtigt. Durch die frühzeitige Ankündigung der Anpassungsstufen bis ins Jahr 2025 hätten die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit, die Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns bei der Fortentwicklung ihrer Tarifverträge zu berücksichtigen, teilte die Mindestlohnkommission mit.
AgE
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