Kopfzerbrechen bereitet vielen Spargelbauern, ob sie wegen der Corona-Krise genügend
Erntehelfer finden. Landwirt Heinrich Thiermann hat derweil noch ganz andere Sorgen: Die Stadt Brandenburg/Havel hat ihn angewiesen, 307 Hektar Spargelfläche auf dem Domstiftsgut in Mötzow bis zum 1. März zu roden, da für den Anbau keine Genehmigung vorliege. Für Thiermann ein «Angriff auf die Landwirtschaft, die auch in Landschaftsschutzgebieten ordnungsgemäß betrieben wird».
Der 78-Jährige ist einer der größten deutschen Spargelbauer. Im niedersächsischen Kirchdorf bewirtschaftet er seit 1972 knapp 500 Hektar mit dem «weißen Gold» und betreibt eine Schweinehaltung. Im Havelland baut er das Edelgemüse seit 20 Jahren an - vor allem auf mit Folien überdeckten Flächen im Vogelschutzgebiet «Mittlere Havelniederungen» und im Landschaftsschutzgebiet «Westhavelland».
Bis zum 30. November verlangt die Stadt Brandenburg/Havel von Thiermann einen Plan für den Anbau anderer Kulturen - für ihn ist das eine «planwirtschaftliche Verwaltung», die in der
Ernährung nichts zu suchen habe. Gegen die Verfügungen werde er alle Rechtsmittel einsetzen, sagte der Landwirt.
Auch 37 Hektar Bio-Heidelbeeren soll Thiermann bis zum 28. Februar umpflügen. Die Stadt, die den Widerruf der Ordnungsverfügungen bereits zurückgewiesen hat, beruft sich darauf, dass die Spargelplantagen nicht mit den Zielen des Natur- und Landschaftsschutzes vereinbar seien.
Laut Gutachten im Auftrag des Brandenburger Landesumweltamtes von 2013 und 2017 sind im Vogelschutzgebiet «Mittlere Havelniederungen» mittlerweile 21 Brutvogelarten ausgestorben. Hauptursache sei der Folienanbau. Bestätigt sehen sich die Naturschützer auch durch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages von 2016, nach dem Folienanbau auch dann den
Vogelschutz beeinträchtigen könne, wenn er der guten fachlichen Praxis entspräche.
Thiermanns Anwälte bezweifeln wesentliche Aussagen der Brandenburger Expertisen und verweisen auf etliche Gutachten, die sich zum Teil widersprächen. Wie die Anwälte kommt auch ein Papier im Auftrag des Domstiftsguts zu dem Schluss, der Folienanbau von Spargel habe keine erheblichen Auswirkungen auf die wertgebenden Vogelarten.
Auch die Verwaltungsgerichte befassten sich mit dem Streit. Im März 2020 bestätigte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einen Beschluss des Verwaltungsgerichts, wonach die von Thiermann vorgenommene
Umnutzung der Flächen nicht mit dem
Bundesnaturschutzgesetz vereinbar sei.
Der Streit betrifft auch den
Spargelanbau auf anderen Flächen. Der Landkreis Oberhavel hat bereits einen
Betrieb angewiesen, nachzuweisen, dass sein Spargelanbau unter Folie mit den Zielen im Vogelschutzgebiet «Obere Havelniederungen» vereinbar sei. Kann er das nicht, droht auch ihm die
Rodung der Anbauflächen.
Lange stießen die Naturschützer mit ihren Vorschlägen für strengere Regeln zur Landwirtschaft in Europäischen Schutzgebieten in Potsdam auf Granit. «Die Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes wurden nie konsequent umgesetzt», sagt der Geschäftsführer der Grünen Liga Brandenburg, Michael Ganschow. «Bei zahlreichen Treffen mit den zuständigen Abteilungsleitern des vom früheren SPD-Agrarminister
Jörg Vogelsänger geführten Ministeriums und dem Spargelanbauverband wurden jegliche Alternativen zum herkömmlichen Folienanbau verworfen», klagt Ganschow. Das habe sich erst im Herbst 2019 mit dem neuen Agrar- und
Umweltminister Axel Vogel (Grüne) geändert.
Längst steigt auch in den betroffenen Kommunen der Widerstand gegen den ausufernden Folienanbau. «Wir sind keine Wutbürger, wir wollen nur, dass Spargel oder Heidelbeeren im Rahmen der Gesetze angebaut werden», sagt der Ortsbürgermeister der Gemeinde Roskow, Thomas Schulze. Mit seinen Amtskollegen aus Weseram und Lünow sowie der Bürgerinitiative «Landschaft ohne Folien», dringt er auf eine naturschonende Agrarwirtschaft.
Werner Christ, Sprecher der Bürgerinitiative, lobt die Stadt Brandenburg/Havel, die nun endlich handele. «Wir sind nicht gegen den Spargelanbau, wir wollen nur, dass Natur und
Landschaft intakt bleiben. Und es darf nicht so weiter gehen, dass Rendite vor dem Recht steht.»