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09.07.2023 | 01:50 | Unkrautvernichter 

Glyphosat: EFSA hat keine Bedenken gegen Neuzulassung

Parma - Nach Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bestehen aus wissenschaftlicher Sicht keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine erneute Zulassung des Herbizidwirkstoffs Glyphosat.

Glyphosat-Zulassung
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„Keine kritischen Problembereiche“ für Gesundheit von Menschen und Tieren sowie auf die Umwelt - ECHA hatte zuvor die Kriterien für eine Einstufung als karzinogener oder mutagener Stoff als nicht erfüllt angesehen. (c) proplanta
Bei der Risikobewertung der Auswirkungen von Glyphosat „auf die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie auf die Umwelt wurden keine kritischen Problembereiche festgestellt“, konstatiert die Behörde in ihrem am Donnerstag (6.7.) vorgestellten Bericht zu dem politisch strittigen Pflanzenschutzmittel.

Ein Problem wird der EFSA zufolge als kritisch definiert, wenn es allen vorgeschlagenen Einsatzmöglichkeiten und somit einer Genehmigung oder deren Erneuerung entgegensteht. Im Klartext bedeutet die Bewertung durch die Behörde in Parma, die hier federführend ist, dass bei fachgerechter Anwendung nichts gegen Glyphosat spricht. In das Ergebnis ist auch die Bewertung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) aus dem Vorjahr eingeflossen.

Die EU-Agentur in Helsinki hatte bekanntlich festgestellt, dass die Kriterien für eine Einstufung als karzinogener, mutagener oder reproduktionstoxischer Stoff nicht erfüllt sind. Die EFSA weist allerdings auf Datenlücken hin. Die Experten in Parma räumen ein, dass nicht alle Fragen abschließend hätten geklärt werden können. Hierzu gehörten Aspekte des ernährungsbedingten Risikos für die Verbraucher sowie die Bewertung der Risiken für Wasserpflanzen.

Fehlende Informationen zu Cocktail-Effekten

Zudem gesteht die EFSA ein, dass Informationen über die Toxizität sogenannter „Cocktail-Effekte“ - also das Zusammenspiel von Glyphosat und anderen Bestandteilen bei der Pestizidformulierung - fehlten. Bislang hätten jedoch keine Hinweise auf eine akute Toxizität oder Genotoxizität vorgelegen, so die Wissenschaftler.

In Bezug auf die Biodiversität stellten die Sachverständigen in Parma fest, dass die Risiken im Zusammenhang mit den repräsentativen Verwendungszwecken von Glyphosat komplex und von mehreren Faktoren abhängig seien. Hierzu fehlten harmonisierte Methoden und spezifische Schutzvorgaben. Die Behörde kommt zu dem Fazit, dass die verfügbaren Informationen keine eindeutigen Schlussfolgerungen über die Risikobewertung die Biodiversität betreffend zulassen.

Kommission jetzt am Zug

Die EU-Kommission wird nun einen Vorschlag erarbeiten, ob und wenn ja, über welchen Zeitraum die Zulassung für den Pflanzenschutzmittelwirkstoff verlängert werden soll. Dann sind wieder die Mitgliedstaaten im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) gefragt. Für eine Entscheidung für oder gegen Glyphosat ist eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Sollte diese in zwei Abstimmungen nicht zustande kommen, entscheidet die Kommission über ihren eigenen Vorschlag. Zuletzt war der Herbizidwirkstoff noch auf der Basis der Risikobewertung von 2017 um ein weiteres Jahr bis zum 15. Dezember 2023 zugelassen worden.

Bundeslandwirtschaftsministerium ablehnend

Wie zu erwarten, wird die von der EFSA zu Glyphosat vorgelegte Risikobewertung von Teilen der Bundesregierung mehr als skeptisch beurteilt. Das Bundeslandwirtschaftsministerium sieht eine „Verlängerung oder Erneuerung der Genehmigung auf EU-Ebene kritisch und als nicht gerechtfertigt an, da die Auswirkungen auf die Artenvielfalt nicht berücksichtigt werden“, erklärte eine Sprecherin des Hauses gegenüber AGRA-EUROPE.

Schließlich sei die Artenvielfalt ein wichtiger Bestandteil von krisenfesten und nachhaltigen Agrar- und Ernährungssystemen. Laut der Ministeriumssprecherin schädigt das „mit Abstand am meisten eingesetzte Totalherbizid“ unzweifelhaft die Biodiversität als Teil der natürlichen Ressourcen. Diese seien allerdings wesentliche Grundlage einer nachhaltigen und krisenfesten Landwirtschaft. „Das haben wir gegenüber der Europäischen Kommission und den anderen Mitgliedsstaaten bereits deutlich dargestellt“, hieß es aus dem Berliner Agrarressort.

Deutschland bald ohne Glyphosat

Bekanntlich hat sich Ampelkoalition darauf verständigt, die Anwendung von Glyphosat in Deutschland zu beenden. Der Ausstiegstermin ist laut dem Koalitionsvertrag der Ampel auf den 1. Januar 2024 datiert. Dieser war bereits unter Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner in der deutschen Pflanzenschutzanwendungsverordnung verankert worden. Indes sieht sich die Bayer AG durch die positive Stellungnahme der EU-Agentur bestätigt.

Deren wissenschaftliche Schlussfolgerung, dass Glyphosat weder die Gesundheit von Mensch und Tier beeinträchtige noch die Umwelt, lege den Grundstein für eine erfolgreiche Wiederzulassung von des Wirkstoffs in der EU, erklärte ein Konzernsprecher in Monheim. Er wies darauf hin, dass diese Schlussfolgerung im Einklang mit den Bewertungen führender Gesundheitsbehörden aus der ganzen Welt seit fast 50 Jahren stehe.

Es liege nun an der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten, unter gebührender Berücksichtigung der Bewertung der EFSA, eine endgültige Entscheidung über die Wiederzulassung von Glyphosat zu treffen und sicherzustellen, „dass Glyphosat den europäischen Landwirten über das Jahr 2023 hinaus zur Verfügung steht“, so der Sprecher.

Hocker für Wiederzulassung

Mit dieser Forderung rennt die Bayer AG zumindest bei den Liberalen trotz des Koalitionsvertrages offene Türen ein. Für den landwirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Gero Hocker, hat die EFSA mit ihrer Bewertung die letzten Steine für die Wiederzulassung des Wirkstoffs aus dem Weg geräumt. „Wer politische Entscheidungen auf Grundlage wissenschaftlicher Fakten trifft, für den ist die Wiederzulassung auf EU-Ebene alternativlos“, betonte Hocker.

Glyphosat sei eines der am besten erforschten Pflanzenschutzmittel. Für die Landwirtschaft habe es bei der konservierenden umweltschonenden Bodenbewirtschaftung eine große Bedeutung, hob der Liberale hervor. Sein Unverständnis über die Verlautbarung der Behörde in Parma äußerte hingegen der Agrarsprecher der Grünen/EFA im Europaparlament, Martin Häusling.

Er warf der EFSA vor, bei ihrer Bewertung die Gesundheit der Anwender und Konsumenten nicht ernst genug zu nehmen. Zudem wirke sie fahrlässig in Bezug auf die Biodiversitätsstrategie. Häusling kritisierte, die EFSA habe einmal mehr wesentliche Studien ignoriert. Dringend überarbeitet werden müssten die Regeln, welche Studien abgefragt und welche als relevant eingestuft werden.

„Ein Werkzeug“

Wenig überraschend teilt der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Bernhard Krüsken, diese Sicht auf Glyphosat nicht. „Die Einschätzung der EFSA sollte der Anlass sein, in der Diskussion um Pflanzenschutz und um die Bewertung von Wirkstoffen wieder zu wissenschaftlichen Grundlagen zurückzukehren“, mahnte Krüsken gegenüber AGRA-EUROPE.

Dieser Wirkstoff sei zwar kein Allheilmittel, könne aber „ein Werkzeug“ für Anbauverfahren sein, „die Erosion verhindern, Humus aufbauen und Wasser sparen“. Derweil kündigte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) „weitere rechtliche Schritte“ an. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch erklärte, dass die nun von der EFSA vorgenommene Bewertung den Einlassungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und „zahlreichen wissenschaftlichen Studien“ widerspreche.

„Wir werden noch im Juli mit fachlicher Unterstützung von foodwatch Klage gegen die Zulassung des Glyphosat-Produkts Roundup Powerflex einreichen“, so Resch. Daniela Wannemacher, Agrarreferentin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), kritisierte die EFSA-Empfehlung als einen „Freifahrtschein“ für das Totalherbizid, und das obwohl die Behörde selbst Datenlücken einräume., Wannemacher zufolge belegen viele dieser Untersuchungen, dass der Wirkstoff das Nervensystem schädigen kann und das Mikrobiom im Darm beeinflusst.
AgE
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