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10.09.2023 | 14:27 | Bundeshaushalt 
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Özdemir im Angriffsmodus

Berlin - Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir setzt in der Auseinandersetzung mit der Opposition um die Zukunft der Tierhaltung in Deutschland auf Attacke.

Cem Özdemir
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Der Minister reagiert mit Vorwürfen an die Vorgängerregierung auf die Unionskritik - GAK-Kürzungen sollen abgemildert werden - CDU/CSU-Vize Bilger: Ampel ohne Orientierung - Einsparungen zu Lasten von Landwirtschaft und ländlichen Räumen nicht akzeptabel - Hocker: Schluss für Agrarpolitik „mit dem Füllhorn“. (c) proplanta
In der ersten Beratung seines Haushaltsentwurfs 2024 am Donnerstag (7.9.) im Bundestag warf Özdemir der Union schwere Versäumnisse vor. Trotz sprudelnder Steuereinnahmen habe sie es versäumt, in eine krisenfeste Zukunft der Tierhaltung zu investieren. Den Strukturbruch, vor dem CDU und CSU derzeit warnten, habe es bereits in ihrer Regierungszeit gegeben.

Der Minister ließ erkennen, dass er sich nicht mit den geplanten Kürzungen in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) abfinden wolle. Er hoffe, dass es in den parlamentarischen Beratungen gelingen werde, weitere Mittel zu mobilisieren. Die Union nahm die Haushaltsdebatte zum Anlass für eine Abrechnung mit der bisherigen Agrarpolitik der Ampelkoalition. Fraktionsvize Steffen Bilger hielt der Bundesregierung fehlende Unterstützung für die Landwirtschaft vor.

Anstatt klare Orientierungen etwa für die Zukunft der Tierhaltung zu geben, sorge man für zusätzliche Verunsicherung in der Branche. Das gelte nicht zuletzt für die geplanten Kürzungen im Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Der Deutsche Bauernverband (DBV) bekräftigte anlässlich der Debatte seine Kritik an den vorgesehenen Mittelstreichungen.

Bekenntnis zur Tierhaltung



Özdemir bekannte sich erneut zur Nutztierhaltung in Deutschland: „Wer Kreislaufwirtschaft möchte, braucht zwingend Tierhaltung.“ Mit der verbindlichen Tierhaltungskennzeichnung, der Änderung des Baugesetzbuches, der Anpassung der Immissionsverordnung sowie dem mit 1 Mrd Euro dotierten Bundesprogramm habe die Ampelkoalition geliefert.

Der Grünen-Politiker bekräftigte die Notwendigkeit, zu einer dauerhaften Finanzierung von Tierwohlställen zu kommen. Die Opposition sei eingeladen, sich mit eigenen Vorschlägen an dieser Debatte zu beteiligen. Keinen Hehl machte der Minister aus seinem Unmut über die Sparmaßnahmen in der GAK, obwohl es in den Verhandlungen mit dem Bundesfinanzministerium gelungen sei, dessen Vorgaben abzumildern.

Als Fortschritt wertet es Özdemir, dass mit der Übertragung der Maßnahmen aus den Sonderrahmenplänen in die reguläre GAP-Förderung Spielraum für eine deutlich flexiblere Mittelnutzung geschaffen worden sei. Vorsichtig optimistisch äußerte er sich zu den Aussichten, dass die Förderung der Wiederaufforstung künftig weiterhin von Bund und Ländern gestemmt werden könne. Hierzu sei man in guten Gesprächen.

Alarmstimmung nicht angebracht



Auch Grünen-Haushälter Dr. Sebastian Schäfer räumte „schmerzhafte Einschnitte“ in die Gemeinschaftsaufgabe ein. Dennoch bleibe die GAK zentraler Baustein für eine leistungsfähige und umweltfreundliche Land- und Forstwirtschaft sowie die Förderung der ländlichen Räume, die Schäfer als „systemrelevant“ bezeichnete.

Der Abgeordnete wies die Kritik an der Streichung der Sonderrahmenpläne zurück. Mit der Überführung der Maßnahmen in die nicht zweckgebundene GAK-Förderung werde die Gemeinschaftsaufgabe spürbar flexibler. „Alle Aufgaben sind weiter förderfähig“, stellte Schäfer fest. SPD-Berichterstatterin Esther Dilcher warnte vor Alarmstimmung.

„Die ländlichen Räume werden nicht kaputtgespart“, so die nordhessische Abgeordnete. Ihren Angaben zufolge ist ein struktureller Umbau der GAK unerlässlich. Das fordere nicht nur der Bundesrechnungshof, sondern liege auch im Interesse der Länder. Dilcher geht davon aus, dass die Mittelausschöpfung in der GAK zunimmt. Allein in diesem Jahr würden 240 Mio Euro von den Ländern nicht abgerufen. Das müsse sich ändern.

Ordnungspolitische Wende



FDP-Agrarsprecher Dr. Gero Hocker verteidigte den Sparkurs der Bundesregierung und nutzte die Debatte zugleich für eine Abrechnung mit der Agrarpolitik der Union. Während CDU und CSU zu ihren Regierungszeiten Probleme gelöst hätten, „indem einfach mehr Geld verteilt wurde“, gehe die Koalition die Herausforderungen „mit mutigen Strukturreformen“ an.

In den ersten beiden Regierungsjahren sei es gelungen, eine „ordnungspolitische Wende“ einzuleiten und die Verbraucher stärker in die Verantwortung zu nehmen. Deutlich werde das an der verbindlichen Haltungskennzeichnung für Fleisch. „Verantwortungsvolle Landwirtschaftspolitik muss nicht mit dem Füllhorn durch die Lande ziehen“, so Hocker.

Nach Auffassung seines Fraktionskollegen Frank Schäffler hat die GAK zwei Probleme. Zum einen werde beim Ökolandbau „am Bedarf vorbei“ gefördert. Zum anderen versagten Länder auf ganzer Linie, weil zur Verfügung stehende Mittel nicht abgerufen würden.

Politik für die Ballungsräume



Der zuständige Berichterstatter der Union im Haushaltsausschuss, Josef Rief, warf der Ampel vor, sie vernachlässige mit ihren Einsparungen den ländlichen Raum und mute den Bauern ein Sonderopfer zu. Einmal mehr mache die Ampel „Politik für die Ballungsräume“.

Der Umbau der Tierhaltung trete auf der Stelle. Der CDU-Politiker äußerte Verständnis für den Frust der Borchert-Kommission und geht davon aus, dass beim nach wie vor nicht klaren Förderprogramm des Bundes kaum ein Landwirt zum Zuge kommen und seinen Stall umbauen wird. „In dem Tempo brauchen wir Jahrzehnte“, sagte Rief voraus. Damit trage die Ampel die Verantwortung, dass derzeit eine Ausstiegswelle in der Tierhaltung durch das Land rolle.

Der Agrarsprecher der CSU im Bundestag, Artur Auernhammer, warnte die Ampel davor, mit einer Verschärfung des Tierschutzgesetzes der bäuerlichen Milchviehhaltung den Garaus zu machen. Die bekanntgewordenen Pläne für ein Auslaufen der Anbindehaltung nehme der Hälfte der bayerischen Milcherzeuger jegliche Zukunftsperspektive. Die Kürzungspläne bei der GAK bezeichnete Auernhammer als bewusste Politik gegen Bayern, das die Bundesmittel stets vollständig abgerufen habe.

Kaum Gestaltungsspielraum



Die agrarpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Ina Latendorf, verwies auf den geringen Spielraum im Agrarhaushalt. Da ein Großteil der Ausgaben für landwirtschaftliche Sozialpolitik und Verwaltung gebunden sei, blieben zur Gestaltung lediglich 2,6 Mrd Euro übrig. Umso unverständlicher sei die erneute Kürzung des Agraretats.

Auch die Linken-Politikerin kritisierte fehlende Klarheit beim Umbau der Tierhaltung. Nach wir seien die eingeplanten 150 Mio Euro für 2024 vom Haushaltsausschuss gesperrt, und die Details seien offen. AfD-Agrarsprecher Stephan Protschka sprach von einem „bauernfeindlichen Haushaltsentwurf“. Die zu erwartenden Mittelkürzungen in der GAK-Förderung des Bundes und der Länder veranschlagt Protschka auf insgesamt rund 500 Mio Euro. Das sei „ein Schlag ins Gesicht für die bäuerlichen Familienbetriebe, die strukturschwachen Regionen und für den Naturschutz“.

Auch die Tierhalter lasse der Landwirtschaftsminister im Regen stehen. Mit dem anhaltenden Rückgang der Schweinebestände werde die Importabhängigkeit weiter zunehmen.

Zweifel an Verlässlichkeit von Politik



Zu Beginn der Haushaltsberatungen im Bund hatten auch Grüne-Länderagrarminister ihren Unmut über die geplanten Kürzungen in der GAK bekundet. Die vorgesehenen Mittelstreichungen führten dazu, dass Vertrauen in die Verlässlichkeit von Politik verlorengehe, warnten die Ressortchefs aus Brandenburg, Hessen und Sachsen, Axel Vogel, Priska Hinz und Wolfram Günther.

In einem Schreiben an die zuständigen Fach- und Haushaltspolitiker der Ampel im Bundestag wiesen sie darauf hin, dass ihre Länder teilweise auf mehr als 40 % der bislang geplanten GAK-Mittel verzichten müssten, sollten die Kürzungen umgesetzt werden.

Man wäre gezwungen, ab 2024 in zahlreichen Förderbereichen die GAK-Maßnahmen einzuschränken oder zu streichen, heißt es in dem Brief. Darin betonen die drei Minister, dass künftig insbesondere im Bereich der klimabezogenen Maßnahmen den Herausforderungen nicht mehr im erforderlichen Maße Rechnung getragen werden könne.

Beispielsweise könnten in Brandenburg 2024 weder geplante Insektenschutzmaßnahmen finanziert werden noch einige Vorhaben des Vertragsnaturschutzes, die dem Ausgleich von Nutzungseinschränkungen zum Erhalt der Biodiversität dienten. Gleiches gelte für Maßnahmen zur naturnahen Gewässerentwicklung und der Verbesserung von Abwasserbehandlungsanlagen, um die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie bis 2027 zu erreichen.

Wiederaufforstung braucht Förderung



Mit scharfer Kritik reagieren die Grünen-Politiker auch auf die Entscheidung, den Sonderrahmenplan zur Bewältigung der Extremwetterereignisse auslaufen zu lassen: „Angesichts der prekären Lage in unseren Wäldern, die gleichzeitig als CO2-Senke einen unerlässlichen Beitrag zur Erreichung der nationalen Klimaziele beitragen müssen, ist es für uns absolut unverständlich, dass die Mittel nicht verstetigt werden.“

Die vom Bund mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) in Aussicht gestellten Finanzierungsmöglichkeiten lehnen Vogel, Hinz und Günther aufgrund von „vielen inhaltlichen und zeitlichen Unwägbarkeiten“ ab. Schließlich befürchten die Minister erhebliche Brüche bei der Unterstützung der Daseinsvorsorge und der regionalen Entwicklung. Die Förderung der Regionalbudgets könnten von den Ländern nicht genutzt werden, sollten die Finanzierungsspielräume in der GAK wegfallen.

Nach Angaben von Vogel und Hinz nutzen insbesondere Brandenburg und Hessen Geld aus der GAK in erheblichem Umfang zur nationalen Kofinanzierung von Mitteln aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Sollten GAK-Mittel nicht zur Verfügung stehen, könnten die ELER-Mittel teilweise nicht in Anspruch genommen werden.
AgE
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Kommentare 
maximilian schrieb am 10.09.2023 17:27 Uhrzustimmen(3) widersprechen(26)
Auernhammer ist ein Feind der bayerischen Milchkühe. Er will ihre Qualhaltung beibehalten. Nur noch eine Minderheit der bayerischen Milcherzeuger hält ihre Tiere in der rechtswidrigen, tierquälerischen ganzjährigen Anbindehaltung. Aufgrund der Milchüberproduktion kann auf solche, tierquälerisch gewonnene Milch, die über Haltungsform 1 hinauskommt und vom Handel abgelehnt wird, verzichtet werden. Da die große Mehrheit der Anbindehalter ohnehin im Nebenerwerb arbeitet, können sie auch ihren Betrieb umstellen oder die Rinderhaltung aufgeben. Die Qualhaltung der ganzjährigen Anbindung beizubehalten, um die Milchbetriebe zu erhalten, ist unethisch und sittenwidrig und verstößt gegen das Staatsziel Tierschutz in Art. 20a GG.
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