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06.04.2013 | 11:18 | Schlachthof 

Besuch im Schlachthaus von Tönnies

Rheda-Wiedenbrück - Die letzten Meter der Schweine sind düster. Zwischen Betonwänden und Eisengittern trippeln sie vom Lkw zur Schlachtung.

Schlachtschweine
(c) contrastwerkstatt - fotolia.com
Der Boden ist schmutzig, aber geheizt. Es riecht nach Tier und Kot. Nur gelegentlich ist in der Halle mit der schalldämmenden Decke ein lautes Quieken zu hören. Wenn die Tiere nicht weitergehen, treibt sie ein Arbeiter mit etwas an, das aussieht wie eine überdimensionale rote Fliegenklatsche.

«Das erste Mal?», fragt der Mann mit den weißen Gummistiefeln und dem weißen Kittel fast beiläufig. Auf der linken Brust steht rot gestickt: Hr. Tönnies. Clemens Tönnies ist der Chef des Fleischgiganten Tönnies im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück. Der 56-Jährige kann sich in den Besucher einfühlen, obwohl für ihn das alles selbstverständlich ist, hier in einem der größten Schlachthäuser Deutschlands.

Die Schweine laufen in kleinen Gruppen die Gänge entlang. Forschungen haben ergeben, dass sie dann entspannter sind. Eine Verbesserung des Tierschutzes, wie die Tönnies-Broschüre hervorhebt.

Clemens Tönnies hat mit 15 eine Lehre als Metzger begonnen. Sein Vater hatte einen kleinen Fleischerbetrieb in Rheda. «Der war da schon wirtschaftlich am Ende», sagt Clemens. Der vier Jahre ältere Bruder Bernd hatte seine Lehre und sein Gesellenjahr schon hinter sich und machte sich in den elterlichen Räumen selbstständig. «Und du machst mit», sagte Bernd damals, und Clemens machte mit.

Die kleine Gruppe der Schweine wird von einem Gitter aufgehalten. Sind es sechs oder sieben, schließt sich auch hinter ihnen ein hydraulisches Gitter. Es gibt kein Vor und kein Zurück mehr. Das Gedränge wird stärker, die Unruhe wächst. Eines der Schweine quiekt, ein anderes entleert seinen Darm.

«Ich wusste zwar nicht, was das heißt, "selbstständig machen", aber es hörte sich gut an», erinnert sich der 56-Jährige. «Mit 20 bin weggegangen und hab' in Kulmbach Fleischtechnik studiert.» 1979/80 steigt er dann richtig ins Unternehmen ein.

Ein kurzer Augenblick der Spannung, dann schiebt das hydraulische Gitter die sieben Schweine in eine Art Paternoster. Gedränge, Geschiebe, die Tiere versuchen, sich auf den Beinen zu halten. Im nächsten Augenblick sind sie aus dem Blickfeld verschwunden.

Die Brüder bauen ein rasant wachsendes Unternehmen auf. Ihr Verhältnis ist nicht immer frei von Spannungen, vorsichtig ausgedrückt. Es geht auch um Anteile am Unternehmen. «Wir waren Brüder, wir haben uns geliebt und wir haben uns geprügelt. Wie das so ist», sagt Clemens. Jetzt streitet er mit seinem Neffen um Anteile.

Wenn die kleine Gruppe der Schweine in dem Paternoster ist, geht es bergab, 13 Meter tief. «110 Sekunden Kohlendioxid, und die Tiere sind betäubt und tief bewusstlos», sagt Clemens Tönnies. Wenn sie wieder nach oben kommen, hängen sie schon mit einem Hinterbein an einem Fördersystem. Die Schienen laufen an der Decke entlang. Manche Schweine schlagen in der Kurve mit dem Kopf heftig gegen ein Edelstahlblech. Keine Reaktion.

Bernd stirbt 1994, mit 42 Jahren. Clemens übernimmt, das Unternehmen wächst. Heute hat die Tönnies-Gruppe einen Jahresumsatz von fünf Milliarden Euro. Sie ist größter Fleischproduzent Deutschlands. In den Tönnies-Werken, sieben in Deutschland und eines in Dänemark, arbeiten 8.000 Menschen.

Die Schweine schweben weiter. Das Gewicht wird digital angezeigt. Auf einem Podest steht ein Arbeiter mit einer blutbespritzten Plastikschürze. Präzise stößt er eine hohle Edelstahlspitze mit einem Absaugschlauch in das Tier. Das ausblutende Schwein schwebt weiter, der Arbeiter nimmt sich den nächsten Schlauch.

Bernd Tönnies war Präsident des Fußball-Bundesligisten Schalke 04. «"Kümmer Dich um Schalke", sagte mein Bruder kurz vor seinem Tod», erzählt Clemens. Also kümmert sich der kleine Bruder. Er zieht in den Aufsichtsrat ein. 2001 setzt er sich gegen den Amtsinhaber, den 2003 gestorbenen FDP-Politiker Jürgen Möllemann durch und übernimmt den Vorsitz.

«Es ist besser, wenn das Herz noch schlägt», sagte Clemens Tönnies. «Wenn das Tier zweieinhalb Liter Blut verloren hat, ist es mit einiger Sicherheit schon tot.» Jedes Tier wird nochmals gewogen.

Drei Kilo weniger muss die Waage anzeigen, sonst wird die Anlage gestoppt. Denn an der nächsten Station wird das Schwein mehrmals abgebrüht. Kein Tier soll lebend gebrüht werden, sagt Tönnies. «Wer schon mal in eine zu heiße Badewanne gestiegen ist, der hat eine Ahnung, wie weh das tut.»

Auf Schalke Chef zu sein, ist für Clemens Tönnies kein Opfer. In seinem neuen Verwaltungsgebäude in Rheda ist eine ganze Wand mit einem riesigen Bild der Schalker Umkleidekabine dekoriert. Sein Vorbild in der Fußballbranche ist Bayern-Präsident Uli Hoeneß, auch er im Hauptberuf in der Fleischbranche. Was haben Fußball und Fleisch gemeinsam? «Die ungeheure Kraft.»

«Solange das Herz schlägt, ist es ein Tier. Danach ist es Material», sagt Clemens Tönnies. Das Material erreicht die nächste, vollkommen weiß geflieste Station. An einer Fließbandanlage stehen die Metzger. Die Luft ist feucht und körperwarm. Die Schweine, alle zwei Meter eins, schweben langsam vorbei. Eine Maschine hat ihre Brust von der Kehle bis zu den Hinterläufen aufgeschlitzt. Jetzt trennen die Metzger mit zwei, drei geübten Schnitten das Gedärm ab. Das Darmpaket fällt in eine Edelstahlschale, die mit dem Körper weiterläuft. Nach jedem Tier desinfiziert der Metzger sein Messer und stellt sich hinter seinen Kollegen an.

16 Millionen Schweine im Jahr werden in den Werken von Tönnies geschlachtet. Allein die Anlage in Rheda-Wiedenbrück hat eine Kapazität von 140.000 Schweinen in der Woche. Im Zwei-Schicht- Betrieb, fünf Tage die Woche, bedeutet das rechnerisch 28.000 am Tag, über 1.700 in der Stunde. Dazu kommen in den anderen Werken 270.000 Rinder, ausschließlich aus Deutschland. «Wir produzieren unter Volllast», sagt Tönnies zufrieden und biegt mit großen Schritten in das nächste von unzähligen weißgefliesten Treppenhäusern der Anlage ein.

Pferdefleisch sucht man hier vergebens, sagt Tönnies. «Inline», heißt das Zauberwort. Die Schweine werden lebend angeliefert, Verwechslung ausgeschlossen. Von der Anlieferung bis zum Versand des Koteletts für die SB-Theke vergehen 24 Stunden. «Die Skandale sind ein großer Imageschaden für die Branche», sagt Tönnies, «aber für uns ist der gut.» Wie bitte? «Wir hatten nach jedem Skandal mehr Umsatz», sagt er. Das liege an dem Vertrauen in die Tönnies-Qualität.

100 Prozent Rückverfolgbarkeit verspricht die Tönnies-Gruppe. Vor der Schlachtung bekommt das Schwein eine «Viehverkehrsverordnungs- Nummer» eintätowiert. An diversen Stationen der Verarbeitung werden die Daten jedes Tieres erfasst. Ein Chip im Haken, an dem die Schweinehälfte hängt, speichert die Daten und sendet sie zur nächsten Station.

In der nächsten Halle stehen ein Dutzend parallel laufende Förderbänder, daran Hunderte Arbeiter in weißen Kitteln und blauen Plastikschürzen. Die Einzelteile der Schweine fließen in scheinbar endlosen Strömen vorbei. Jeder Arbeiter macht ein, zwei Schnitte und das Stück erreicht die nächste Etappe. Dort schneiden Maschinen millimetergenau Koteletts.

Wenn Clemens Tönnies nicht im Schlachthaus oder im Stadion ist, geht er leidenschaftlich gern auf die Pirsch. «Aber in den allermeisten Fällen schieße ich nichts», versichert er. Nein, er habe nichts gegen Tiere. «Ich achte die Kreatur. Mit mir kriegt jeder Ärger, der auf der Jagd seinen Hund schlägt.»

Alle wichtigen Daten aus dem Schlachthof landen in Echtzeit auch in einer Blackbox beim Landesamt für Verbraucherschutz. Auch die Bauern, die Schweine angeliefert haben, können die Daten «ihrer» Tiere abrufen. Für die Verbraucher hat Tönnies «fTrace» entwickelt. Mit einer App kann das Smartphone im Laden den «Dotmatrix-Code» einlesen und der Kunde erfährt zum Beispiel, aus welcher Gegend das Tier kommt und wann es geschlachtet wurde.

«200 Artikel werden aus einem Schwein gemacht», sagt Tönnies. «Die Kunst ist, für jeden Artikel Abnehmer zu finden.» Tönnies liefert mehr als die Hälfte seines Fleischs ins Ausland, derzeit in 82 Länder. Jede Woche rollen drei oder vier firmeneigene Güterzüge zu den Häfen in Hamburg und Bremerhaven. Die Produktpalette reicht von der Schweinehälfte bis zum fertigen Cordon bleu.

«Ein Container nach China ist billiger als einer nach Polen», sagt Tönnies. Neben ihm stehen dutzende Plastikkisten mit Schweineköpfen. «Das ist unser Exportschlager für China», sagt er. Auch die Ringelschwänze sind dort ein Renner. Die Rückenschwarten gehen auf die Philippinen. «Die werden da getrocknet und als Cracker gegessen.»

Über den Familienstreit mit seinem Neffen Robert spricht Tönnies nicht gern. Der hat ihn verklagt. Derzeit halten beide 50 Prozent der Anteile. Robert fordert weitere 10 Prozent und hätte dann die Mehrheit. Die Fronten sind verhärtet. «Ich hänge nicht an der Führung des Unternehmens», sagt Clemens. Das klingt allerdings nicht wirklich überzeugend, denn auf die Frage, ob er ehrgeizig sei, sagt er freimütig: «Wie verrückt.» Welche Ziele hat er denn noch? «Mein ehrgeizigstes Ziel ist, dass Schalke 04 Deutscher Meister wird.» Und wann wird das sein? «Bald!», versichert er.
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