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29.03.2014 | 13:56 | Abschaltung der AKWs 

Atomausstieg - schneller als politisch vorgesehen

Berlin - Es war eine turbulente Sitzung im Kanzleramt an jenem 15. März 2011. Angela Merkel saß mit den fünf Ministerpräsidenten der Bundesländer zusammen, in denen Atomkraftwerke liefen.

Atomausstieg
(c) proplanta
Die Bilder der Explosionen an den Reaktorgebäuden in Fukushima vor Augen, kam es dem Vernehmen nach zu einem regelrechten Überbietungswettbewerb, was die Abschaltung betraf.

Am Ende standen die sieben ältesten Meiler auf der Liste, plus das ohnehin stillstehende AKW Krümmel. Seither ist viel passiert. Dass nun Eon ein AKW schneller abschaltet, als es die Politik will, offenbart die wuchtigen Folgen der Energiewende - und hinter den Kulissen wird um neue Kraftwerks-Subventionen gekämpft.

Punkt 12 Uhr verschickt Deutschlands größter, schwer gebeutelter Energiekonzern am Freitag eine Mitteilung: «Eon nimmt Kernkraftwerk Grafenrheinfeld vor Ende der Laufzeit außer Betrieb». Das bayerische Kraftwerk rechne sich nicht mehr.

Der Atomgegner Jochen Stay von der Organisation «ausgestrahlt» frohlockt: «Jeder Tag, den das AKW früher vom Netz geht, ist ein Tag mit geringerem Risiko.» Derzeit laufen noch neun AKW, bis 2022 sollen sie schrittweise vom Netz. Aber eben auch nicht früher als geplant - sonst drohen Stromausfälle.

Ein Grund dürften Wirtschaftlichkeitsprobleme durch die Zunahme von Wind- und Solarstrom sein. Offiziell führt Eon die Brennstoffsteuer an. Da im Juni 2015 neue Brennstäbe in Grafenrheinfeld eingesetzt werden müssten, will sich Eon durch eine Abschaltung Ende Mai 80 Millionen Euro Steuern sparen und das Kraftwerk nicht mehr - wie im Atomgesetz verankert - bis Ende 2015 laufen lassen. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hatte Steuererleichterungen ausgeschlossen. Nun könnte am Ende der Bürger die Rechnung zahlen.

Der Grund liegt in der Verordnung «zur Regelung des Umgangs mit geplanten Stilllegungen von Energieerzeugungsanlagen», dem sogenannten Wintergesetz. Die Bundesnetzagentur und der für Bayern zuständige Übertragungsnetzbetreiber Tennet müssen nun prüfen, ob Grafenrheinfeld noch «systemrelevant» ist. Die Meinungen gehen auseinander.

Netzexperten halten die Fertigstellung der Thüringer Strombrücke, über die Windstrom aus dem Osten nach Bayern fließen soll, für essenziell. Bis Ende Mai 2015 wird das wohl nicht klappen.

Stay hingegen verweist auf ein Gutachten, wonach bereits heute «ausreichend wetterunabhängige Kraftwerkskapazitäten und Leitungen selbst für extreme Situationen zur Verfügung» stünden. Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hatte am Dienstag über Staatskanzleichefin Christine Haderthauer mitteilen lassen: «Wir sehen die Versorgungssicherheit Bayerns nicht beeinträchtigt.» Tennt-Chef Martin Fuchs hält das Aus ebenfalls für handhabbar.

Kommt aber die Bundesnetzagentur zu dem Ergebnis, Grafenrheinfeld werde bis Ende 2015 gebraucht, muss Eon entschädigt werden für den Weiterbetrieb wider Willen. Die Kosten werden über die Netzentgelte auf den Strompreis der Verbraucher umgelegt. In Konzernkreisen wird gemutmaßt, die Summe wäre am Ende sicher höher, als wenn die restlichen 80 Millionen Brennstoff-Steuer einfach erlassen würden.

Die Grünen-Umweltpolitikerin Bärbel Höhn vermutet daher Taktik und Erpressung. «Eon versucht zusätzliches Geld für einen Weiterbetrieb des AKW Grafenrheinfeld bei den Stromkunden herauszuholen.» Sie hoffe, die Aufsichtsbehörden durchschauten dieses Spiel, sagt Höhn.

Eon verweist auf das Auslaufen der Atomsteuer 2016, daher könnte der Antrag auf vorzeitige Stilllegung von Grafenrheinfeld ein singulärer Akt bleiben. Aber ob die Kanzlerin ähnliche Freude wie Atomgegner Stay verspürt, ist fraglich. Denn es wird massiv um Extraprämien für Kraftwerke gerungen, die sich zwar nicht mehr rechnen, aber gerade zur Versorgung im Winter dringend gebraucht werden.

Denn: An der Strombörse sind die Erlöse für Stromerzeuger wegen Überkapazitäten und der Zunahme von Solar- und Windstrom gefallen, am Freitag lag der Preis für Lieferungen im Jahr 2015 zwischen 3,4 und 4,5 Cent die Kilowattstunde, es wird also mit weiterhin sehr niedrigen Preisen gerechnet. Viele Energieversorger geben diese Preisvorteile aber oft unzureichend an die Endkunden weiter. Die zahlen wegen der ganzen Energiewende-Umlagen und Lasten durch Strom- und Mehrwertsteuer derzeit rund 28 Cent pro Kilowattstunde. Gibt es neue Kraftwerks-Subventionen, drohen weitere Belastungen.

Der Schritt von Eon könnte nun den Druck für milliardenschwere Kapazitätsmärkte erhöhen. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) will sich nach der Reform der Ökostromförderung des Themas annehmen - hierüber wollen Merkel, er und die 16 Ministerpräsidenten am Dienstag eine Einigung erzielen. Als gäbe es nicht schon genug Probleme, dürfte ähnlich wie vor drei Jahren im Kanzleramt plötzlich auch wieder das - eigentlich unter Dach und Fach geglaubte - Atomthema zur Sprache kommen. Nur dass es diesmal wohl darum geht, weitere vorzeitige AKW-Abschaltungen zu vermeiden. (dpa)
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