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11.11.2023 | 00:02 | 100 Jahre Hyperinflation  

Hartnäckig, aber anders als 1923: Inflation auf dem Rückzug

Frankfurt/Main - «Es ist zu befürchten, dass die Hühner jetzt den Größenwahn bekommen, wenn sie erfahren, dass die Eier, die sie legen, mit 1,2 Millionen Mark für das Stück bezahlt werden».

100 Jahre Hyperinflation
Immer wieder heißt es, die Hyperinflation von 1923 habe die Sorge vor Geldentwertung ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt. Tatsächlich bereitet die hohe Teuerung vielen Menschen seit Monaten Sorge. Die jüngste Entwicklung macht aber Hoffnung. (c) proplanta
Im September 1923 kommentierte ein Zeitungsleser mit einer Portion Galgenhumor die damals rasant steigenden Preise, wie die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» im Zusammenhang mit der Hyperinflation vor 100 Jahren in Erinnerung rief. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges am 24. Februar 2022 treibt die zeitweise zweistellige Inflation Deutschlands Verbrauchern erneut Sorgenfalten auf die Stirn.

Immerhin: Die aktuelle Teuerungswelle scheint gebrochen, im Oktober des laufenden Jahres fiel die jährliche Inflationsrate in Deutschland mit 3,8 Prozent auf den niedrigsten Stand seit August 2021. Das Statistische Bundesamt bestätigte am Mittwoch vorläufige Daten.

Volkswirte erwarten, dass sich die Teuerung in Europas größter Volkswirtschaft in den nächsten Monaten weiter abschwächen wird - auch weil die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) zunehmend greifen. Die Euro-Währungshüter haben seit Juli 2022 zehn Mal in Folge die Leitzinsen nach oben gesetzt. Das verteuert Kredite, was die Nachfrage bremsen und die Inflation dämpfen kann.

Vor 100 Jahren sorgte erst ein Austausch der Währung dafür, dass Preise sich wieder normalisierten: Mit der Ausgabe der Rentenmark ab dem 15. November 1923 beendete die Rentenbank die damalige Hyperinflation in Deutschland.

In den Monaten zuvor war der Wert der deutschen Währung 1923 so rasch gesunken, dass vielerorts Löhne täglich ausgezahlt wurden. Die Wirtschaft lag nach dem Ersten Weltkrieg am Boden, der Staat war hoch verschuldet und druckte Geld, um seine Verbindlichkeiten zu bezahlen. Die Inflation stieg derartig, dass immer neue Geldscheine mit immer höheren Nennwerten gedruckt werden mussten.

Waschkörbeweise trugen Menschen Papiergeld in die Geschäfte und versuchten, es möglichst schnell gegen Waren einzutauschen. Händler erhöhten laufend die Preise, da die Mark fast im Stundentakt an Wert verlor. Im November 1923 kostete ein Kilogramm Roggenbrot in Berlin 233 Milliarden Mark, ein Kilo Rindfleisch 4,8 Billionen Mark.

«Als die galoppierende Inflation 1923 zur Hyperinflation wurde, verlor das Geld seine Funktion als allgemeines Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel», erklärt die Deutsche Bundesbank. Viele Händler tauschten Waren nur noch gegen Lebensmittel und Kohle oder schlossen ihre Geschäfte ganz. Nur eine neue Währung konnte neues Vertrauen schaffen.

Ironie der Geschichte: Am meisten profitierte der Staat, der zuvor die Geldentwertung angeheizt hatte, von der Währungsreform 1923. Die deutschen Kriegsschulden in Höhe von 154 Milliarden Mark schnurrten am Tag der Einführung der Rentenmark auf 15,4 Pfennige zusammen, wie die Deutsche Bundesbank vorrechnet.

«Droht uns eine Hyperinflation wie in den Zwanzigern?», fragte sich mancher Beobachter noch vor einigen Monaten angesichts der hartnäckig hohen Teuerungsraten in Deutschland und im Euroraum. Vor allem Energie und Lebensmittel hatten sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sprunghaft verteuert. Die Inflation schien nur eine Richtung zu kennen: nach oben. Bis auf 8,8 Prozent kletterte die Teuerungsrate im Herbst 2022, das war der höchste Stand seit der Wiedervereinigung Deutschlands.

Obwohl die Raten in jüngster Zeit wieder sinken, belastet das vergleichsweise hohe Preisniveau die Kaufkraft vieler Haushalte, der private Konsum fiel als Stütze der Konjunktur zuletzt aus. In Umfragen sagen viele Menschen immer wieder, sie hätten ihren Konsum wegen der hohen Inflation eingeschränkt.

Von Verhältnissen wie 1923 sind die Preissteigerungen der vergangenen Monate freilich weit entfernt. Eine extreme Inflation wie vor 100 Jahren drohte - auch dank des letztlich entschlossenen Gegensteuerns der Notenbanken - weder im vergangenen Jahr noch im laufenden Jahr.

Ganz verschwunden ist der Preissprung beim Einkaufen allerdings nicht, auch wenn der Preisauftrieb zuletzt wieder nachgelassen hat. Der Preis für ein Brötchen etwa lag nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im September 2023 um 30,8 Prozent über dem Niveau von 2020. Mancher Bäcker machte zwischenzeitlich aus der Not eine Tugend, ließ altes Brot mahlen und verkaufte die damit hergestellte neue Ware günstiger als «Inflationsbrot» und «Inflationsbrötchen».

Was den eingangs erwähnten Eierpreis angeht, gab das Statistische Bundesamt in der aktuellen Inflationsentwicklung pünktlich zum diesjährigen Osterfest im April 2023 Entwarnung: «Nicht nur im Vergleich zu anderen EU-Staaten, sondern auch im Vergleich zu anderen Lebensmitteln haben sich Eier hierzulande unterdurchschnittlich verteuert.» Mit 31,1 Prozent im Februar 2023 zum Vorjahresmonat fiel die Teuerung bei Eiern im EU-Schnitt demnach fast doppelt so hoch aus wie in Deutschland (plus 16,6 Prozent).
dpa
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