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04.07.2015 | 14:22 | Energiepolitik 

Energiestreit - lange Stromnacht im Kanzleramt

Berlin - Um 00.55 Uhr kommt Peter Altmaier - auf dem Fahrrad. Nach fünf Stunden Energie-Poker mit den Parteichefs wirkt der Kanzleramtsminister kein bisschen müde.

Energiestreit in Deutschland
Drei Parteichefs, fünf Stunden, ein Paket: Die Koalition befriedet mit Milliarden Euro den Energiestreit. Impressionen und Fakten aus der langen Stromnacht im Kanzleramt. (c) proplanta
Fröhlich winkt er dem Greenpeace-Aktivisten Tobias Münchmeyer zu, der im grünen Shirt auf seinem Klappstuhl tapfer bis Donnerstagnacht vor der Machtzentrale ausharrt.

Auf dem Weg heim radelt Altmaier noch an ein paar heiteren Nachtschwärmern vorbei, die vom «Hoffest» der SPD-Bundestagsfraktion nebenan in der «Schwangeren Auster» übriggeblieben sind. Es wird für alle eine lange Energiewende-Nacht - für die Steuerzahler und Stromkunden am Ende sogar eine ziemlich teure.

Wer hat beim Energie-Basar am meisten abgesahnt?

Horst Seehofer wäre nicht er selbst, wenn er sich am Morgen danach nicht zum klaren Sieger ausrufen würde. Vom Rest der Republik sei er bei den Stromtrassen verspottet worden. «So isser halt. Abwehrend, blockierend, populistisch», zählt Seehofer die Vorwürfe auf. Er habe nie eingesehen, warum 75 Meter hohe «Monstertrassen» nach Bayern durchgezogen werden sollten, damit Netzbetreiber für 30 Jahre Renditen von 5 bis zu 9 Prozent kassierten. Auf der Habenseite hat Seehofer nun: Mehr Erdkabel statt Masten, deutlich weniger Leitungskilometer im Freistaat, dazu drei Gaskraftwerke als Reserve.

Nur: Die Formel «2 minus X»-Trassen erfüllt er zum Entsetzen der Bürgerinitiativen nicht, weil die Super-Stromautobahnen Suedlink und Südost-Link kommen. Seehofer ficht das nicht an: «Hauptsache ist, wir gewinnen die Wahl mit diesen Trassen.»

Was kostet die «Lex Seehofer» bei den Erdkabeln?

Die Netzbetreiber sagen, sie sind vier- bis achtmal so teuer wie Masten für 180-KV-Leitungen. Gabriel glaubt an einen Kostenfaktor 2. So oder so dürfte es in die Milliarden gehen. Dafür werde es schneller gehen, sagt Gabriel, weil die Bürger weniger demonstrierten. Er sei schon lange Erdkabel-Fan: «In meinem Wahlkreis werden sie sagen, endlich löst er ein, was er seit zehn Jahren verspricht.» Aber wenn Bayern Erdkabel kriegt, werden andere Länder das auch wollen. Die Kosten werden wieder über die Netzentgelte von den Verbrauchern mitbezahlt.

Ist Wirtschaftsminister Gabriel ein Verlierer, weil seine Kohle-Abgabe kassiert wurde?

Gabriel hat nicht Wort halten können. Aber: Gegen eine geballte Kohlelobby aus Gewerkschaften, Industrie, Union, Braunkohle-Ländern mit SPD-Ministerpräsidenten konnte er kaum siegen. Der SPD-Chef nimmt es sportlich: Das Modell, alte Kohle-Kraftwerke bis 2020 schrittweise stillzulegen, sei teurer als seine Abgabe. Das Risiko, Tausende Jobs in den Kohle-Revieren und als Dominoeffekt ganze Tagebaue zu verlieren, wollte eben keiner eingehen. So flüchtet sich Gabriel in große Worte. Das Energie-Paket sei historisch: «Ich sage ganz selbstbewusst, wirtschaftlich ist gestern ein ziemlich großes Kind der großen Koalition geboren worden. Die Eltern dürfen stolz sein.»

Was sagt die Kanzlerin zur Einigung?

Von Angela Merkel hört man nichts. Sie wollte den Energiestreit angesichts des Griechenland-Dramas unbedingt vor der Sommerpause vom Hals haben. Ein Ruhmesblatt ist die Lösung für sie nicht. Beim G7-Gipfel in Elmau ließ sich Merkel als «Klimakanzlerin» feiern, jetzt hat sie Gabriel bei der Kohle hängenlassen. Greenpeace wirft der CDU-Chefin Wortbruch vor: «Die Kanzlerin lässt alle Träume der Kraftwerksbetreiber wahr werden. Sie müssen weniger CO2 sparen und bekommen dafür auch noch Millionen zugesteckt.»

Was kosten die Beschlüsse?

Alles in allem haben die Parteichefs bis 2020 ein Paket im Volumen von über zehn Milliarden Euro geschnürt. Für eine stärkere Förderung von Energie-Effizienz kommen über fünf Jahre knapp sechs Milliarden Euro Steuergeld aus dem Haushalt. Bürger und Wirtschaft müssen zwischen 2016 und 2020 insgesamt fünf Milliarden extra für den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung aus Gas schultern, um malade Stadtwerke aufzupäppeln.

Zu bedenken ist: Bereits jetzt werden jedes Jahr bis zu 24 Milliarden Euro über die Stromrechnungen von Bürgern und Firmen gewälzt, damit Deutschland bis 2022 aus der Atomkraft aussteigen und den Ökostromanteil von heute 27 Prozent auf 40 bis 45 Prozent im Jahr 2025 ausbauen kann.

Die Stromkonzerne bekommen jetzt Prämien dafür, dass sie alte Kohle-Meiler stilllegen. Warum das denn?

Die Regierung muss 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Reduzierung aus dem Strommarkt herausholen, um ihr Klimaschutz-Versprechen bis 2020 einzuhalten. Bis zu acht Kohle-Kraftwerksblöcke in NRW und im Osten auf der Ersatzbank sparen um die 11 Millionen Tonnen CO2 ein.

Die Stromkonzerne RWE, Vattenfall, Mibrag & Co. sollen dafür laut Regierung eine Einmalzahlung von ein bis zwei Milliarden Euro erhalten, für den Unterhalt der Kraftwerke in der Reserve werden jährlich weitere 230 Millionen Euro fällig. Am Ende schalten die Konzerne 13 Prozent ihrer Kohle-Leistung schrittweise ab.

Umweltschützer schimpfen: Die alten «Möhrchen» wären sowieso eingemottet worden. Die Börsianer jubelten: Die RWE-Aktie legte um fast fünf Prozent zu. (dpa)
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