Die EU-Staaten berieten dies am Donnerstag auf ihrem Gipfel in Brüssel. Einfach sind die Dinge nicht.
Was lag auf dem Tisch?Bis 2030 mindestens 55 Prozent weniger
Treibhausgase als 1990 - diesen Vorschlag der
EU-Kommission greift der Entwurf der Gipfelerklärung auf, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Für diese Zielmarke habe sich breite Unterstützung abgezeichnet, sagten EU-Vertreter auf dem Gipfel. Allerdings verzögerte sich der Beschluss am Donnerstagabend. Die EU will das neue Ziel vor Jahresende als verbindliches Ziel den Vereinten Nationen melden. Bisher ist ein Minus von 40 Prozent hinterlegt. Zur Umsetzung heißt es: «Das Ziel wird von der EU kollektiv auf die Art und Weise erreicht, die am kosteneffizientesten ist.»
Ist das machbar?Ja, sagt die EU-Kommission. Aber es wäre ein gewaltiger Kraftakt: So müsste der Anteil von Öko-Energien am gesamten Verbrauch bis 2030 nicht nur auf 32 Prozent steigen, sondern auf 38 bis 40 Prozent. Bei der
Energieeffizienz soll die bisherige Zielmarke von 32,5 auf 36 bis 39 Prozent erhöht werden. In den Umbau der
Energieversorgung und -nutzung müssten jährlich 350 Milliarden Euro mehr investiert werden, im Vergleich zu den Werten der vergangenen zehn Jahre.
Was bedeutet das für Deutschland?Das lässt sich noch nicht sagen. Die Kommission will erst im Juni 2021 ein Gesetzespaket vorlegen, wie das Ganze umgesetzt wird. Zur Debatte stehen etwa strengere Energieanforderungen an Gebäude und schärfere CO2-Grenzwerte für Autos. Deutschlands Autoindustrie müsste dann mehr Tempo machen bei der Umstellung auf Elektro-Pkw. Die Energiekonzerne könnten über den EU-weiten Handel mit Verschmutzungsrechten schneller in Richtung
Ökostrom gedrängt werden - ein steigender CO2-Preis bedeutet, dass Kohlekraftwerke sich weniger lohnen. Inwiefern Deutschland sein nationales Klimaziel - 55 Prozent weniger
CO2 bis 2030 - nach oben schrauben muss, ist offen.
Warum verschärft die EU ihr Ziel?Das Paris-Abkommen sieht vor, dass die Mitglieder nach fünf Jahren ihre Pläne nachbessern. Derzeit weisen diese eher Richtung 3 Grad
Erderwärmung als «deutlich unter 2», wie das Abkommen vorsieht. Staaten wie Großbritannien, China, Japan und Südkorea wollen nun ehrgeiziger werden. Die EU stehe jetzt unter Druck, mahnt Kanzlerin Angela Merkel. Die UN-Klimadiplomatie ist wegen der Corona-Pandemie ins Stocken geraten, der diesjährige
Klimagipfel wurde auf 2021 verschoben. Aber an diesem Samstag soll ein digitaler Mini-Gipfel stattfinden. Dort könnte Merkel das neue EU-Ziel der Welt vorstellen.
Stehen alle 27 Staaten hinter dem Ziel?Polen und einige weitere östliche Staaten forderten beim Gipfel die Zusicherung für finanzielle Hilfen. Sie sind teils stark auf Kohle angewiesen und haben deshalb einen besonders langen Weg bei der Energiewende. Der Entwurf der Gipfelerklärung versucht Brücken zu bauen: Man müsse die «unterschiedlichen Ausgangspositionen und nationalen Umstände» berücksichtigen.
Milliardentöpfe sind bereits geplant: vor allem der Fonds für einen gerechten Wandel, aber auch der 750 Milliarden schwere Corona-Aufbaufonds, der zu mindestens 30 Prozent zur Umsetzung der
Klimaziele genutzt werden soll. Den EU-Staaten gelang es, beim Gipfel ihren Haushaltsstreit beizulegen, so dass diese Mittel tatsächlich in absehbarer Zeit verfügbar sein dürften. Damit werde auch der Kompromiss beim Klimaziel leichter, hieß es am Donnerstagabend.
Ein weiteres Streitthema war die Atomkraft. Tschechien hat schon voriges Jahr dafür gekämpft, sie als CO2-freie Energieform zu akzeptieren. «Technologieoffenheit» heißt das Stichwort. Beihilfen für Atomkraft sind jedoch für andere Staaten völlig ausgeschlossen.
Reicht das für einen ambitionierten Klimaschutz?Klimaschützer halten minus 55 Prozent für zu wenig. Greenpeace-Chef Martin Kaiser etwa fordert 65 Prozent. Das halten auch die Grünen für notwendig. Kritik gibt es auch daran, dass erstmals die Speicherung von CO2 in Wäldern und anderen «Senken» eingerechnet werden soll. Die tatsächlich nötige Einsparung bei Treibhausgasen auf anderen Gebieten wäre damit niedriger - und der Sprung von anvisierten 40 auf 55 Prozent weniger ehrgeizig, als es klingt.