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18.11.2022 | 14:01 | Hungerhirse und Tropenkartoffel 

Afrikas Weg aus der Nahrungskrise

Nairobi/Dakar - Die Handgriffe der jungen Farmerinnen sind geübt: Nach fünf, vielleicht sechs Messerhieben sind die Maniokwurzeln geschält. 300 Kilo müssen heute noch geschält und gehäckselt werden.

Maniok
Lange galten traditionelle Nutzpflanzen wie Maniok oder die Getreidesorte Fonio in Afrika als Arme-Leute-Essen. Durch die Klimakrise und die steigenden Preise für Lebensmittelimporte erleben die heimischen Arten jedoch eine Renaissance. (c) proplanta
«Die Arbeit ist anstrengend», sagt Hilda Obali, die als Freiwillige bei der Maniokernte im Busia County im Westen Kenias hilft, «aber durch unsere Arbeit geht es der Gemeinschaft besser». Denn der Maniok muss die schmalen Erträge von Mais und Getreide ersetzen, die besonders unter der seit Jahren andauernden Dürre leiden.

Die Klimakrise hat Afrika längst im Griff. Millionen Menschen sind von Überschwemmungen, Dürren oder Hitzewellen betroffen. Immer mehr Menschen hungern - das ist erneut die wenig überraschende Erkenntnis der Weltklimakonferenz im gut 4.000 Kilometer entfernten Scharm el Scheich.

«Wir können unser landwirtschaftliches Potenzial nicht ausschöpfen, wenn wir uns nicht an den Klimawandel anpassen», sagte etwa Akinwumi Adesina, der Präsident der Afrikanischen Entwicklungsbank, bei der COP27 in Ägypten vergangene Woche. Dazu kommen akute Hungerkrisen durch Konflikte. Laut der UN-Agrarorganisation FAO sind 33 der 55 Länder des Kontinents auf Hilfslieferungen angewiesen. Dabei habe Afrika riesige und einzigartige Anbauflächen, die einen Beitrag zur weltweiten Nahrungsmittelproduktion beitragen könnten, so Adesina.

Die Erderwärmung setzt aber nirgendwo sonst auf der Welt den Agrarflächen so sehr zu wie in Afrika. In den vergangenen 60 Jahren sind die Ernteerträge laut einem aktuellen Bericht der Weltwetterorganisation um rund ein Drittel zurückgegangen. Viele Länder des Kontinents sind daher auch ohne Krisen von Nahrungsimporten abhängig - auch von Getreide aus der Ukraine.

Am Horn von Afrika ist die Dürre Angaben des UN-Nothilfebüros OCHA zufolge mittlerweile so schlimm wie seit 40 Jahren nicht mehr. In manchen Gegenden warten die Menschen seit mittlerweile zwei Jahren auf Niederschlag. Die unberechenbaren Regenfälle haben verheerende Folgen für die afrikanischen Bauern, die sich künstliche Bewässerungssysteme nicht leisten können. Lediglich sechs Prozent der Agrarflächen in Afrika sind laut der NGO Alliance for a Green Revolution in Africa bewässert. Kulturpflanzen wie Mais oder Weizen, die erst mit den Kolonialmächten nach Afrika kamen, können unter den trockenen Bedingungen kaum überleben.

Bei den Bauern in Afrika hat daher längst ein Umdenken begonnen. «Die Maisernte in diesem Jahr ist sehr schlecht ausgefallen», erzählt Obali. Nachdem auch die Getreidelieferungen aus der Ukraine ausblieben, stieg plötzlich die Nachfrage und auch der Preis für Maniok. Mit einer Art Genossenschaft wollen Obali und die Bauern der Region nun von den rentablen Preisen profitieren und nicht nur die lokalen Wochenmärkte beliefern, sondern auch das gesamte Land.

Bislang galt die sogenannte «Tropenkartoffel» Maniok in Kenia und den anderen Ländern Ostafrikas als Arme-Leute-Essen, doch das Image der Wurzel wandelt sich zum Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel. Laut der FAO werden in Ostafrika rund 35 Millionen Tonnen Maniok pro Jahr geerntet. Zum Vergleich: Auf dem gesamten Kontinent werden jedes Jahr rund 90 Millionen Tonnen Mais geerntet, bei Reis sind es rund 38 Millionen Tonnen.

Im Vergleich zu Mais oder Weizen ist Maniok dürreresistent und mit neuen Samenvarianten sind die Pflanzen außerdem weniger anfällig für Krankheiten. Und noch einen entscheidenden Vorteil hat Maniok, sagt Obali: «Die Pflanzen sind so genügsam, dass sie keinen künstlichen Dünger brauchen.» Damit ließe sich auch die Abhängigkeit vom weltweiten Düngemittelmarkt minimieren. Die Preise waren seit den Sanktionen gegen Russland in diesem Jahr in die Höhe geschnellt. Russland gehört zu den weltweit größten Düngemittelexporteuren.

Auch in anderen Teilen Afrikas soll die Importabhängigkeit ein Ende haben. Traditionelle Hirsearten wie Sorghum oder Finger- und Perlhirse sowie Wildgetreide könnten dabei helfen. In der senegalesischen Hauptstadt Dakar in Westafrika etwa findet sich inzwischen in so gut wie allen Supermärkten die Hirsesorte Fonio. Diese steht in Konkurrenz zum Reis, der sich der westafrikanischen Bevölkerung als Grundnahrungsmittel etabliert hat - obwohl dieser insbesondere aus Indien importiert wird. Fonio hingegen gilt als eines der ältesten Getreide auf dem afrikanischen Kontinent.

Fonio, auch unter dem wenig charmanten Namen Hungerhirse bekannt, sei ein einfach anzubauender Sattmacher, sagt Boubié Jean Marie Kadjo. Er ist der Manager eines Projektes, das den Anbau von Fonio im Senegal fördert. «Fonio wächst sehr schnell und ist eine gute Alternative, wenn andere Getreidesorten noch nicht reif sind», sagt Kadjo. Ähnlich wie Maniok ist auch die Hungerhirse pflegeleicht: Sie ist sehr widerstandsfähig gegen Schädlingsbefall und braucht außer regelmäßiger Bewässerung keine Pflege beim Anbauen. Sie gedeiht auf nährstoffarmen Böden und hilft sogar dabei, diese wieder aufzubereiten.

Kadjos Fonio-Projekt wird von der der Nichtregierungsorganisation SOS Sahel getragen und seit 2021 von Frankreich finanziert. Rund 1200 Bauern im Senegal werden nach Kadjos Angaben gefördert. Daneben bauen auch Guinea, Mali und Nigeria Fonio in größerem Umfang an.

Skurrilerweise müssen sich die traditionellen Lebensmittel erst wieder den Weg in die herkömmliche afrikanische Küche bahnen. Denn auch die Nationalgerichte haben sich seit der Kolonialzeit verändert. Der in Ostafrika als Beilage weit verbreitete Getreidebrei Ugali wird seit der Einführung der Maispflanze aus Maisstärke hergestellt. Das ginge aber genauso gut mit Maniokstärke. Und Senegals Nationalgericht Thieboudienne, eine Reispfanne mit Fisch und Gemüse, ließe sich ebenso mit Fonio zubereiten.
dpa
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