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09.01.2011 | 13:30 | Dioxin-Skandal 
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Foodwatch-Chef: Nur die Spitze des Eisberges

Berlin - Die Organisation foodwatch wirft der Regierung im Dioxin-Skandal schwere Versäumnisse vor. Sie mache sich gemein mit den Interessen der Futtermittelindustrie, kritisiert Gründer und Geschäftsführer Thilo Bode.

Thilo Bode
Thilo Bode (c) foodwatch
Im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa listet der Autor («Die Essensfälscher», «Abgespeist») auf, was passieren muss: Er fordert verpflichtende Dioxin-Tests bei jeder Futtermittelzutat. Denn schon heute würden die Bürger etwa 80 Prozent des Dioxins über Futtermittel aufnehmen, so der 63-jährige Bode, der früher Greenpeace-Chef war, bevor er 2002 foodwatch gründete.


Herr Bode, sind Sie überrascht von dem Dioxin-Skandal?

Bode: «Ich bin nicht überrascht, denn heute findet die Dioxin- Belastung der Menschen in Deutschland und Europa fast ausschließlich über Futtermittel statt. Waren früher die Müllverbrennungsanlagen für die Dioxinbelastung der Bevölkerung verantwortlich, haben diese Rolle mittlerweile die Futtermittelhersteller übernommen.»


Sind in der Vergangenheit die Kontrollen in diesem Bereich zu lasch gewesen?

Bode: «Die staatlichen Lebensmittelkontrollen haben hier keinen Einfluss, auch wenn sie in der Anzahl erhöht werden. Wir haben in Deutschland etwa 1.700 Futtermittelbetriebe - und viel mehr Werke. Die staatlichen Kontrolleure nehmen dort im Jahr etwa die gleiche Zahl Dioxinproben. Das ist so, als wenn man eine Stecknadel im Heuhaufen sucht. Was passieren muss, ist, dass jeder Futtermittelhersteller jede Charge einer Futtermittelzutat verpflichtend auf Dioxin testet, dokumentiert und bei Überschreitungen verpflichtend die Behörden informiert. Nur das würde weiterhelfen, damit die schleichende Dioxinvergiftung durch Futtermittel aufhört.»


Da werden die Händler angesichts des Kostenzwangs entgegnen, das ist viel zu teuer. Muss die Politik hier mehr Druck machen?

Bode: «Das Futtermittelrecht dient ausschließlich den Verbrauchern und nicht der Futtermittelindustrie. Wenn sich die Kosten der Branche durch verpflichtende Proben erhöhen, dann wird sich das für den Endverbraucher im Supermarkt kaum auswirken. Es hat aber Auswirkungen auf die Futtermittelindustrie, die im Wettbewerb steht und die ja auch von der deutschen Regierung gefördert wird. Die Bundesregierung hat eine explizite Exportstrategie für deutsche Fleischprodukte, zum Beispiel für Geflügelprodukte und Schweinefleisch. Die deutsche Regierung hat überhaupt kein Interesse daran, die Futtermittelindustrie zu belasten.»


Sehen Sie in dem aktuellen Fall nur die Spitze des Eisberges?

Bode: «Absolut, das ist nur die Spitze des Eisberges. Etwa 80 Prozent der gesamten Dioxinbelastung der Bevölkerung, die laut WHO
(Weltgesundheitsorganisation) an der oberen Grenze des gerade noch Akzeptablen liegt, erfolgt durch Futtermittel, zum Beispiel über belastete Futteröle oder Getreide.»


Die Regierung schlägt nur eine Trennung zwischen der Produktion von Fetten etwa für die Papierindustrie und der Herstellung von Fetten für das Tierfutter vor. Ist das nicht ein vernünftiger Ansatz?

Bode: «Die Vorschläge, die die Regierung macht, sind im Grunde Nebelkerzen. Denn auch der Vorschlag von Frau Aigner, die Produktion von technischen Fetten und von Futterfetten zu trennen, würde ja nichts bringen, denn Fette sind nicht der einzige Eintragsweg: Auch über Getreide gelangen immer wieder Dioxine ins Futter. Beim letzten Dioxinskandal um Bio-Eier im Mai vergangenen Jahres war dioxinbelasteter Mais aus der Ukraine die Ursache.»


Die Bundesregierung sagt, dass zwei Drittel der bisher untersuchten Proben nicht über den Grenzwerten liegen. Ist der Skandal vielleicht gar nicht so schlimm?

Bode: «Im Gegenteil. Es hat sich herausgestellt, dass die Firma Harles und Jentzsch schon seit dem 19. März letzten Jahres über die Kontaminierung Bescheid weiß. Das heißt, schon seit März 2010 sind dioxinbelastete Fette an Mischfutterhersteller geliefert worden. Aus grundsätzlicher Sicht muss folgendes gesagt werden: Die tägliche Dioxinbelastung der Bevölkerung in Deutschland ist mit zwei Pikogramm pro Kilogramm Körpergewicht bereits an der oberen Grenze von dem, was die WHO für akzeptabel hält. Jede zusätzliche Dioxinbelastung ist eine unzulässige Gesundheitsbelastung der Bürger. Das ist eine völlig inakzeptable Verharmlosung der Regierung, die die Futtermittelindustrie schützen will. Es ist wirklich eine Ungeheuerlichkeit zu sagen, es ist doch alles gar nicht so schlimm.» (dpa)

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Kommentare 
Antonietta schrieb am 10.01.2011 07:43 Uhrzustimmen(47) widersprechen(96)
Der Dioxin-Skandal zeigt – wir brauchen neben besseren Kontrollen einen grundlegenden Politikwechsel: Weg von Agrarfabriken, hin zur bäuerlichen Landwirtschaft.
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