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28.09.2022 | 11:19 | Mehr als eine Million 

Immer mehr Menschen versorgen sich bei Tafeln

Berlin - Mehr als eine Million Menschen in Deutschland versorgen sich nach einer Umfrage auch an Tafeln mit Lebensmitteln.

Lebensmittelverteilung
Die Tafeln geben verwendbare Lebensmittel aus, die sonst weggeschmissen würden. Die hohe Inflation, aber auch der Krieg in der Ukraine sorgen dafür, dass die Zahl der Bedürftigen bei den Tafeln immer größer wird. Vielerorts gibt es schon einen Aufnahmestopp. (c) proplanta
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bezifferte die Zahl am Mittwoch auf knapp 1,1 Millionen und bezog sich auf eine Umfrage aus dem Jahr 2020. Derzeit gehen die Tafeln selbst aber von deutlich höheren Zahlen aus. «Die Lage ist bei allen Tafeln extrem angespannt», sagte eine Sprecherin des Dachverbands Tafel Deutschland. Hintergrund sind der Krieg in der Ukraine und steigende Preise. «Es kommen auch mehr Menschen, die einen Job haben.»

Die bundesweit rund 960 Tafeln verteilen an Bedürftige Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können. Der Dachverband spricht inzwischen von deutlich mehr als zwei Millionen Kundinnen und Kunden, mehr als je zuvor. Das DIW hat die Teilnehmer seiner Umfrage-Serie Sozio-oekonomisches Panel 2020 gefragt, ob aus ihrem Haushalt im Vorjahr jemand bei einer Tafel war. Es kommt so auf knapp 1,1 Millionen Menschen, die von den Angeboten profitierten.

«Natürlich wirkt sich auch die derzeit hohe Inflation auf die TafelbesucherInnen aus», erklärte DIW-Forscher Markus Grabka zur aktuellen Lage. Hohe Energie-Vorauszahlungen führten auch Menschen mit nicht ganz geringem Einkommen in die Einrichtungen. Hinzu kämen viele Flüchtlinge aus der Ukraine.

Gleichzeitig werde die Versorgung schwierig, weil die Lebensmittelgeschäfte weniger Lebensmittel verschwenden, die sonst an die Tafeln gegangen wären. Beispiele sind Angebote mit «geretteten Lebensmitteln» im Ladenregal.

Nach Angaben der Tafeln sind die Besucherzahlen seit Jahresbeginn bundesweit etwa um die Hälfte gestiegen. In Berlin, wo auch viele ukrainische Flüchtlinge zuerst eintreffen, ist es noch mehr. Anfang des Jahres kamen pro Monat noch etwa 40.000 Menschen zu den 47 Berliner Tafeln, nun sind es deutlich über 70.000, wie Leiterin Antje Trölsch sagte. Viele davon seien vor dem Krieg aus der Ukraine geflüchtet. Hinzu kämen Deutsche, die die starken Preissteigerungen nicht mehr verkraften. «Leute, die es vorher irgendwie geschafft haben, kommen jetzt auch zu uns.»

Drei Viertel der Menschen, die Tafeln 2019 nutzten, lebten von Grundsicherung, wie das DIW herausfand. Viele seien von Armut bedroht und gesundheitlich beeinträchtigt. Besonders häufig nutzen Alleinerziehende und Paare mit Kindern die Tafeln. Ein Viertel der Menschen, die von den Tafeln profitierten, seien Kinder.

Pro Monat und Kopf gaben Tafelnutzer laut DIW etwa 210 Euro für Lebensmittel aus - 30 Euro weniger als Nicht-Tafelbesucher. Gemessen am Nettoeinkommen war es jedoch nahezu doppelt so viel. Tafeln würden also vor allem genutzt, um unzureichendes Einkommen zu kompensieren, folgern die Forscher.

Und das Einkommen reiche wegen der steigenden Preise bei immer weniger Menschen, heißt es bei den Tafeln. «Wir schicken jede Woche Leute nach Hause», berichtete kürzlich die Potsdamer Einrichtung angesichts des gestiegenen Andrangs. Bundesweit hat laut Dachverband bis zum Sommer jede dritte Tafel einen Aufnahmestopp eingeführt, weil Lebensmittel oder Helfer fehlten.

Berlin konnte eine Aufnahmestopp bislang verhindern. Dort sind zusätzliche Ausgabestellen eröffnet worden, wo Menschen sich Lebensmitteltüten abholen können. Ehrenamtliche Helfer würden aber gebraucht. «Wir suchen immer Menschen, die uns unterstützen - beim Fahren der Touren, beim Tütenpacken und beim Verteilen», sagte Trölsch.

Tafeln könnten staatliche Armutsbekämpfung nicht ersetzen, meint DIW-Forscher Jürgen Schupp. «Dass vor allem Familien Tafeln nutzen müssen, wirft kein gutes Licht auf die soziale Absicherung von Kindern», so Schupp. «Die Ampelkoalition muss jetzt zügig die Kindergrundsicherung auf den Weg bringen.»
dpa
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