Darin waren sich die Teilnehmer der Diskussionsrunde „Ernährungsunsicherheit als Folge des Kriegs in der Ukraine?“ am vergangenen Mittwoch (4.5.) einig, auch vor dem Hintergrund des aktuellen Berichts vom Globalen Netzwerk gegen Ernährungskrisen (GNAFC), demzufolge die weltweite Ernährungsunsicherheit einen neuen Höchststand erreicht habe (Länderberichte kl08).
Beklagt wurde in diesem Zusammenhang, dass es zum einen eine „Explosion der Zahl hungernder Menschen“ und auf der anderen Seite „extrem steigende Gewinne bei den Dünger- und Pestizidherstellern“ gebe.
Klimawandel und Artenschwund würden die Ernährungskrise sowie die soziale Ungleichheit auf der Welt zusätzlich verschärfen. Laut dem agrarpolitischen Sprecher der Grünen/EFA im Europäischen Parlament,
Martin Häusling, verlieren viele in der EU den globalen Blick auf die wachsende Ernährungskrise.
Der Grünenpolitiker forderte im Weiteren die
EU-Kommission auf, nicht nur ein Programm zur Unterstützung der europäischen Landwirte, sondern auch ein Programm zur Bekämpfung des Hungers und zur Unterstützung der Landwirtschaft im globalen Süden aufzulegen.
Auch nach Auffassung seiner grünen Fraktionskollegin, der Agrarpolitikerin Sarah Wiener, wird auf EU-Ebene „praktisch nicht darüber gesprochen“, inwiefern die seit langem bestehenden Krisen in Form von „Biodiversitätsverlusten, Pestizidvergiftung, Klimawandel, Boden- und Nutztierprobleme“ die jetzige Krise extrem verstärkt hätten. Diese älteren Probleme würden nun durch die Folgen des Ukraine-Krieges überschattet, müssten aber bei den Lösungen ebenfalls im Zentrum stehen, so die österreichische Agrarpolitikerin.
Food-Price-Index auf einem „Allzeithoch“Der vormalige Staatssekretär im
Bundeslandwirtschaftsministerium sowie ehemalige stellvertretende Generaldirektor der
Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), Alexander Müller, hob derweil hervor, dass sich die aktuelle Versorgungskrise bereits Monate vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine abgezeichnet habe.
Die
Düngerpreise seien bereits seit dem Herbst vergangenen Jahres angestiegen. Zudem befinde sich der Food-Price-Index inzwischen auf einem „Allzeithoch“. Als „problematisch“ bezeichnete es Müller, dass die Weltgemeinschaft, anders als noch zur letzten Welternährungskrise 2008 nun kaum reagiere.
Auch die
FAO halte unverständlicherweise „die Füße still“. Es sei nun dringend erforderlich, dass sich die Länder der Erde an einen Tisch setzten, um die Krise zu bewältigen. Müller appellierte an die G7-Staaten, zusammen mit den besonders betroffenen Ländern einen raschen Weg aus der Ernährungskrise, deren Umfang noch nicht abschätzbar sei, zu suchen.
Stärkerer Fokus auf resilientere AgrarsystemeDer Leiter des Fachgebiets Agrar- und Ernährungspolitik an der Berliner Humboldt-Universität, Prof. Peter Feindt, warnte ebenfalls davor, dass kurzfristige Maßnahmen zur Produktionssteigerung langfristig problematisch wirkten. Denn eine etwaige Flächenausweitung treffe unter anderem rasch auf weitere, kaum hinnehmbare Biodiversitätsverluste. Schon bisher habe die
Agrarpolitik den Fokus zu wenig auf resilientere Agrarsysteme gelegt. So dürfe auch die Farm-to-Fork-Strategie der EU jetzt keinesfalls ausgehebelt werden.
Statt knappe finanzielle Mittel zugunsten kurzfristiger Effekte auszugeben, gelte es, langfristig wirksame agrarökologische Konzepte zu verfolgen. Derweil wies die Referentin für
Welternährung und Globale Landwirtschaft bei der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisation Inkota, Lena Bassermann, darauf hin, dass die
Diskussion um die finanzielleAusstattung der Welternährungsorganisation (WFP) bereits sehr alt sei.
Fatalerweise sei allerdings nie etwas wirkungsvolles geschehen, beklagte die Referentin. Sie plädierte dafür, den Beimischungszwang für Pflanzensprit abzuschaffen, um damit Platz für den Anbau von
Lebensmitteln zu gewinnen. Zugleich warb sie für einen Hilfsfonds zur Stärkung von Biodüngern, statt weiter große Summen als „Blanko-Subventionen“ für chemischen Düngemittel auszugeben. Letztere würden im Endeffekt nur die Gewinne der Düngerhersteller weiter aufblähen, konstatierte Bassermann.