Das ist beim Agrarpolitischen Forum der mitteldeutschen
Bauernverbände am Rande der „agra 2022“ in Leipzig deutlich geworden, bei dem am Donnerstag (21.4.) die aus dem Krieg resultierenden Konsequenzen für die
Agrarpolitik auf Bundes- und EU-Ebene diskutiert wurden.
Während Sachsen-Anhalts
Landwirtschaftsminister Sven Schulze die
Versorgung mit Nahrungsmitteln nicht mehr für selbstverständlich hält und deshalb das Nein Berlins zur vollständigen Freigabe der Ökologischen Vorrangflächen (ÖVF) beklagte, hielt sein sächsischer Amtskollege Wolfram Günther dagegen. Nach seinem Dafürhalten darf die Landwirtschaft auch in schwierigen Zeiten nicht den Klima-, Natur- und
Umweltschutz aus den Augen verlieren.
Die Spitzen der mitteldeutschen Bauernverbände zeigten dennoch wenig Verständnis für den deutschen Verzicht auf die umfassende Nutzung von Brachflächen. Für den Präsidenten des Sächsischen Bauernverbandes (SLB), Torsten Krawczyk, wäre deren Freigabe zum Anbau von Feldfrüchten ein kleines, aber wichtiges Signal dafür gewesen, dass die deutsche Landwirtschaft bereit sei, ihren Anteil bei der internationalen
Ernährungssicherung zu leisten.
Der Vizepräsident des Thüringer Bauernverbandes (TBV), Udo Große, nannte es regelrecht „fahrlässig“, während der aktuellen Situation in Gunstregionen auf die produktive Nutzung von Ökologischen Vorrangflächen zu verzichten. Der Präsident des Bauernverbandes Sachsen-Anhalt, Olaf Feuerborn, warnte vor einer allzu sorglosen Agrarpolitik, die Realitäten am Markt und auf den Höfen vernachlässige.
Der Geschäftsführende Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Prof. Alfons Balmann, geht mit Blick auf die jüngsten geostrategischen Entwicklungen davon aus, dass sich die Prioritäten in der Agrarpolitik verschieben werden, wobei die drängenden Probleme der Agrarbranche aber weiter adressiert werden müssten.
Verbraucherverhalten einkalkulierenNach Krawczyks Eindruck ist die Politik mit der aktuellen Kriegssituation überfordert und nicht in der Lage, angemessen flexibel auf die geänderten Rahmenbedingungen einzugehen. Er warnt zudem davor, bei der Umsetzung der europäischen Nachhaltigkeitsstrategien den Verbraucher außer Acht zu lassen.
Laut dem SLB-Präsidenten haben die Kunden schon nach den jüngsten Preiserhöhungen im Handel reagiert, was sich beispielsweise in einem spürbaren Absatzrückgang bei ökologisch erzeugten und Freilandeiern zeige. Die Politik müsse sich deshalb darüber im Klaren sein, dass eine erfolgreiche Transformation der Landwirtschaft mit den dadurch absehbar weiter anziehenden Lebensmittelpreisen auch die Verbraucher und ihr Verhalten einbeziehen müsse, da ansonsten Vermarktungsprobleme vorprogrammiert seien, so Krawczyk.
Keine neuen AuflagenFeuerborn gab zu bedenken, dass die Ernährungssicherheit selbst in Deutschland keinesfalls unter allen Umständen gesichert sei. So sei die Bundesrepublik im Dürrejahr 2018 beim Weizen schon einmal vom
Exporteur zum Nettoimporteur geworden. Vor diesem Hintergrund lehnt der Verbandspräsident immer neue Auflagen und Regeln für die Landwirtschaft ab.
Besonders kritisch sieht er hierbei die Umsetzung der
Düngeverordnung, die nach seiner Einschätzung keine ausreichende Rücksicht auf die lokalen Bedingungen wie Niederschläge und Nährstoffverfrachtung nimmt und stattdessen in zu vielen Fällen eine bedarfsgerechte Düngung der Bestände verhindert. Feuerborn betonte die Bereitschaft der
Bauern zum Arten- und Umweltschutz. Dieser müsse jedoch an die sich ständig ändernden Verhältnisse auf den Betrieben angepasst werden und eine produktive Bewirtschaftung der Flächen ermöglichen.
„Worst Case“ bei ImportstoppSchulze stellte fest, er mache sich angesichts der Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine größte Sorgen hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch der
Nahrungsmittelsicherheit in Deutschland. Der Minister warnte vor einem „Worst Case“ im Falle eines vollständigen Stopps der deutschen Gas- und Ölimporte aus Russland.
Kein Erdgas bedeute beispielsweise fast sicher die längerfristige
Stilllegung der SKW Piesteritz und damit der dortigen Ammoniak- und Stickstoffproduktion, gab Schulze zu bedenken. Ohne russisches Erdöl könnten zudem die Kraftstoffproduktion der PCK Schwedt und damit die Versorgung eines Großteils der ostdeutschen Bundesländer mit Diesel und Benzin ausfallen. Dies würde nicht ohne Folgen für die Konjunktur oder die Arbeitsfähigkeit der Landwirtschaft abgehen, gab Schulze zu bedenken.
Landwirtschaft braucht intakte UmweltVor diesem Hintergrund bedauerte der CDU-Politiker das Scheitern der vollständigen Freigabe der Ökologischen Vorrangflächen in der
Agrarministerkonferenz (
AMK) und im Bundesrat. Er wies darauf hin, dass nicht nur Vertreter der Union, sondern auch Fachpolitiker von
SPD und Linke für die produktive Nutzung der Brachflächen geworben hätten.
Aus seiner Sicht sei die Debatte um die vollständige Freigabe der Vorrangflächen gerade wegen der aktuellen Herausforderungen legitim gewesen, betonte Schulze. Gerade jetzt Flächen aus der Bewirtschaftung zu halten, werde jedenfalls nicht von jedem verstanden, so der Minister. Günther betonte hingegen, dass der
Agrarsektor ohne eine intakte Umwelt keine Zukunft habe.
Der Grünen-Politiker verwies ungeachtet dessen auf die auch nach seiner Überzeugung dringend notwendige
Nahrungsmittelhilfe für Länder in Nordafrika und Asien, die von Ernte- und Exportausfällen in der Ukraine bedroht seien. Günther zufolge zeigen sich hier klar die Probleme internationaler Abhängigkeiten. Diese belegten gerade die Systemrelevanz der regionalen Agrarwirtschaft und ihrer Kreisläufe.
Zielkonflikte fast unvermeidbarWie Balmann ausführte, erwartet die Gesellschaft von der deutschen Landwirtschaft, dass diese ihre Probleme im Tier-, Klima-, Umwelt- und Biodiversitätsschutz angeht. Der Ukraine-Krieg habe nun aber ins Bewusstsein gerückt, dass die Sicherung der
Ernährung die grundlegende gesellschaftliche Funktion der Landwirtschaft sei. Hierbei seien Zielkonflikte wie etwa zwischen Tier- und
Klimaschutz oder zwischen
Grundwasserschutz und Ernährungssicherung fast unvermeidbar, so der IAMO-Direktor.
Ein Beispiel dafür sieht er in der Zielsetzung einer erheblichen Ausdehnung der ökologischen Landwirtschaft auf 25 % oder sogar 30 % der Fläche bis 2030. Dies werfe gerade im Hinblick auf Nahrungsmittelkrisen Fragen nach der
Nachhaltigkeit auf, falls dem
Ökolandbau nicht drastische Steigerungen der Flächenproduktivität gelängen, erklärte Balmann.
Er ist grundsätzlich der Meinung, dass ein nachhaltiger Wandel, wie er in Landwirtschaft und Agrarpolitik angestrebt wird, nur gemeinsam mit der Gesellschaft und keinesfalls gegen sie umgesetzt werden kann. Dafür müsse jedoch das Diskursversagen, das die politischen Auseinandersetzungen um die Agrarwirtschaft seit geraumer Zeit präge, überwunden werden, mahnte der Agrarökonom an.