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03.09.2022 | 06:39 | Klimaforschung 

Extremwetter auf der Nordhalbkugel durch Klimawandel befeuert

Genf - Sicher, es gab in Europa schon starke Dürren wie etwa 1976 mit völlig vertrockneten Feldern. Oder große Hitze wie 2003 mit mindestens 70.000 zusätzlichen Toten. Aber der Sommer 2022 sticht heraus, weil nach vorläufigen Bewertungen riesige Regionen besonders lange betroffen waren.

Wassermangel
Der Sommer 2022 dürfte mit seinem extremen Wetter in großen Teilen der nördlichen Hemisphäre beispiellos gewesen sein. Kein Zweifel, dass der Klimawandel dazu beiträgt. Ist dies das neue Normal? (c) proplanta
«Es war sehr ungewöhnlich», sagt Omar Baddour, Leiter der Abteilung Climate Monitoring bei der Weltwetterorganisation (WMO) in Genf. «Fast ein Drittel der nördlichen Hemisphäre war betroffen.»

Vielerorts kam es zu drei Arten von schweren Dürren gleichzeitig: die meteorologische Dürre mit weniger Niederschlägen, die landwirtschaftliche Dürre mit ausgetrockneten Böden und die hydrologische Dürre mit niedrigen Pegeln in Flüssen, Brunnen und Seen. Sie hängen zusammen, treten aber selten so massiv gleichzeitig auf.

«Dass diese Kombination auftritt, kann passieren, aber das Ausmaß ist eindrücklich und scheint sehr ungewöhnlich zu sein», sagt Baddour. Man müsse historische Wetteraufzeichnungen durchgehen, um Vergleiche zu suchen, aber wahrscheinlich sei so etwas - wenn überhaupt - wohl erst ein oder zweimal seit Beginn der Aufzeichnungen vorgekommen.

Was ist weltweit passiert?

Südasien: Auf extreme und ungewöhnlich frühe Hitze im April und Mai in Nordindien und Südpakistan folgten zuletzt die verheerenden Überschwemmungen. Pakistan hatte im August fast dreimal so viel Regen wie im Durchschnitt der vergangenen 30 Jahre, so die WMO. Millionen Menschen haben ihr Hab und Gut verloren, mehr als 700.000 Nutztiere sind verendet und Millionen Tonnen Ernten fallen aus.

China: Das Land erlebt die längste und schlimmste Hitze seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1961 mit wenig Regen und Rekordtemperaturen teils über 40 Grad über Wochen und in weiten Teilen des Landes. In Abschnitten des Jangtse-Stromes haben Pegelstände den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen 1865 erreicht.

Die Energieproduktion mit Wasserkraft geht massiv zurück, Kohlekraftwerke laufen dafür auf Hochtouren. Große Ernteflächen sind zerstört oder geschädigt. «Es gibt nichts in der klimatischen Geschichte der Welt, das auch nur annähernd vergleichbar ist mit dem, was in China passiert», sagte der Wetterhistoriker Maximiliano Herrera, der weltweit Extremwetter beobachtet, dem «New Scientist».

Afrika: Die Sahelzone vom Senegal im Westen bis nach Djibouti im Osten Afrikas erlebt eine katastrophale Dürre. 346 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen, wie das Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) berichtet. Das ist ein Viertel der Bevölkerung Afrikas.

Die Zahl der Hungernden droht weiter zu steigen. Zum einen wird wegen der Dürren und Überschwemmungen weniger Getreide geerntet, zum anderen nehmen bewaffnete Konflikte und politische Instabilität zu, und die Länder kämpfen noch mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie und den Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Vorher wurde viel Getreide aus der Kriegsregion importiert.

Nordamerika: Weite Teile der USA erlebten ungewöhnliche, teils extreme Dürre und Trockenheit. Betroffen sind laut US-Wetterbehörde NOAA Regionen, in denen rund 172 Millionen Menschen leben, und damit mehr als 55 Prozent der Bevölkerung. Viele Flüsse und Stauseen haben sehr wenig Wasser, beim großen Salzsee in Utah war es im Juli ein historisches Tief.

Wenig Wasser führt auch der Colorado River, deshalb darf nicht mehr wie üblich Wasser entnommen werden. Aus dessen Reservoirs kommt das Trinkwasser für sieben Bundesstaaten und auch für einen Teil Mexikos. Er ist auch lebenswichtig für die Landwirtschaft und die Energieversorgung in der Region. 2022 hatte den drittwärmsten Juli seit Beginn der Aufzeichnungen vor 128 Jahren. Nur im Juli 1936 und 2012 lagen die Durchschnittstemperaturen höher.

Südeuropa: Italien erlebte bislang einen der heißesten Sommer der vergangenen 40 Jahre. Der Fluss Po führte so wenig Wasser wie nie seit Beginn der Aufzeichnungen. In Spanien sanken die Pegel der Stauseen nach Regierungsangaben auf 36,9 Prozent. Laut Medien ist das der niedrigste Stand seit mindestens 1995. Frankreich durchlebte laut Regierung die schlimmste je verzeichnete Trockenheit, mehr als 100 Kommunen hatten zeitweise kein Trinkwasser.

Portugal leidet seit Mai unter extremer Dürre. Städte wie Mailand oder Venedig drehten zwischenzeitlich Springbrunnen ab, Dutzende spanische Gemeinden rationierten das Trinkwasser, in Frankreich wurde die Bewässerung der Landwirtschaft eingeschränkt. Zehntausende Hektar Wald brannten ab, in Italien und Frankreich teils im Norden, was ungewöhnlich ist.

Und Deutschland? Es war nach vorläufigen Berechnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) der sonnenreichste Sommer seit Beginn der Aufzeichnung sowie einer der vier wärmsten und einer der sechs trockensten. 820 Sonnenstunden, das waren fast 34 Prozent mehr als im Durchschnitt 1961-1990. Der deutschlandweite Temperatur-Höchstwert wurde am 20. Juli mit 40,1 Grad in Hamburg gemessen.

Der DWD erfasst die Sonnenscheindauer seit 1951, Temperaturen und Niederschläge werden seit 1881 aufgezeichnet. Dazu kamen Rekord-Tiefstände in Flüssen, ausgetrocknete Felder, verdörrte Wiesen und Waldbrände. «Wir dürften damit in Zeiten des Klimawandels einen bald typischen Sommer erlebt haben», sagt Meteorologe Uwe Kirsche in Offenbach.

«Es hat schon immer Wetterextreme gegeben», sagt Baddour von der WMO. «Aber klar ist, dass sie durch den Klimawandel häufiger und in der Intensität stärker werden.» Natürliche Klima-Variabilität gibt es zwar, wie die Wissenschaft betont. Aber die Folgen des Klimawandels können immer genauer bestimmt werden. In dieser sogenannten Attributionsforschung führend ist das Netzwerk World Weather Attribution um die deutsche Klimatologin Friederike Otto am Imperial College in London.

Ihr Team hat die Hitzewelle in Nordindien und Südpakistan im Frühjahr mit neuesten Klimamodellen untersucht. Hitzewellen gab es dort zwar schon immer, aber das Team kommt zu den Schluss, dass solches Wetter durch den Klimawandel 30 mal wahrscheinlicher geworden ist. Das Wetter bezieht sich auf den Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt, während das Klima über einen Zeitraum von Jahrzehnten die typischen Verhältnisse beschreibt.

Auch eine Ereignis wie die Juli-Hitze in Großbritannien mit Spitzen von mehr als 40 Grad wäre nach Angaben des Netzwerks ohne die Klimaerwärmung seit der industriellen Revolution um vier Grad kühler ausgefallen. Das Team untersucht gerade den gesamten Extremsommer 2022. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor.

Der Klimawandel führt nicht nur zu höheren Durchschnittstemperaturen, sondern verändert auch die Zirkulationsmuster der Luftströme in der Atmosphäre, die das Wetter beeinflussen. «Motor der Zirkulation ist der Temperaturunterschied zwischen der kalten Polarluft und der warmen Luft in Äquatorregion», sagt Baddour.

Weil die Polarregionen wärmer geworden sind, sei der Temperaturunterschied geringer und der Motor dadurch schwächer. Dies beeinflusst die typischen sogenannten planetarischen Wellen. Die Wellen bewegten sich weniger, sagt Baddour, und deshalb kommt es zu teils wochenlang anhaltenden Wetterlagen - wie in Europa die Hitze 2022.

Ob der nächste Sommer wie dieser wird, lässt sich nicht voraussagen. Denkbar seien auch Überschwemmungen in Europa, wenn die Zirkulation der Luftströme in ein anderes Muster umschlägt, das extremen Regen begünstigt, sagt Baddour.
dpa
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