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21.01.2020 | 15:29 | Unmut bei Bauern 

Bauernproteste: Gegen die Natur zu schaffen, wäre doch Quatsch

Hagnau - Eigentlich haben die Anbaugebiete von Karl Megerle die ideale Lage. Seine Wein- und Obstbauflächen in Hagnau liegen nah am Bodensee, der die Temperaturen ausgleicht: Zum Jahresbeginn wird es nicht so schnell warm, wodurch der Austrieb an den Obstbäumen später beginnt - was ihn wiederum besser vor Spätfrösten schützt.

Bauernprotest 2020
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Seit Monaten protestieren Bauern auch im Südwesten gegen schwierige Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft. Es geht um Düngeregeln, Insektenschutz, die Klimadebatte und um gerechte Preise für Lebensmittel. Was könnte helfen? Besuch bei einem Winzer am Bodensee. (c) proplanta
Zum anderen liegen die 16 Hektar mitten im Landschaftsschutzgebiet. Das bringt Vorteile, erzählt Megerle. So sei beispielsweise der Siedlungsdruck nicht so stark. Doch etwas anderes beobachtet der Winzer beim Blick auf seine Flächen durchaus mit Sorge: mögliche Einschränkungen beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

Im Südwesten hatte zuletzt ein Volksbegehren zum Artenschutz die Bauern beschäftigt. Unter anderem war darin vorgesehen, den Anteil der Flächen, auf denen Pestizide genutzt werden dürfen, bis 2025 zu halbieren. In Schutzgebieten sollten sie komplett verboten werden.

«Das wäre eine Katastrophe gewesen», sagt Megerle. «Das Volksbegehren war gut gemeint, aber schlecht gemacht.» Nach massiven Protesten wurde die Initiative zunächst auf Eis gelegt. Im Dezember einigten sich Regierungsvertreter, Bienenfreunde, Naturschützer und Bauernverbände dann auf alternative Pläne für mehr Artenschutz, die in diesem Jahr im Landtag beschlossen werden sollen.

Dass der Gesetzentwurf hinter dem Volksbegehren so nun nicht umgesetzt wird, lässt Megerle aufatmen. Umwelt- und Artenschutz seien auch für Landwirte wichtige Themen, sagt er. «Bienen und Insekten sind für eine intakte Natur notwendig. Wenn wir in der Landwirtschaft gegen die Natur schaffen, wäre das doch Quatsch.» Die eigenen Anbauflächen seien schließlich die Ertragsgrundlage der Landwirte.

Aber es gelte eben auch: Man könne beim Pflanzenschutz nicht einfach bestimmte Punkte weglassen. «Das kann verheerende Folgen haben.»

Wie tief der Ärger bei den Bauern sitzt, hatten in den vergangenen Monaten zahlreiche Aktionen in ganz Deutschland gezeigt. Unter anderem waren Landwirte mit Traktoren ins Berliner Regierungsviertel gefahren. Die Proteste richteten sich allgemein gegen schwierige Rahmenbedingungen, aber insbesondere auch gegen Umweltauflagen, etwa gegen strengere Regeln fürs Düngen, die das Grundwasser vor Nitrat schützen sollen.

«Die Bauern werden mit diesen Rahmenbedingungen schlecht leben können», sagte kürzlich Dirk Andresen von der Initiative «Land schafft Verbindung», die zu den Protesten aufgerufen hatte. Er nehme wahr, dass Politiker in Berlin und die Bauern in Parallelwelten lebten.

Auch Megerle hat den Eindruck, dass vor allem kleinere Betriebe mit ihren Interessen nicht gut vertreten sind. Er hofft auf mehr Dialog. «Ohne Information geht es einfach nicht», sagt der 62-Jährige.

Zudem müssten die Landwirte und auch ihre Verbände stärker kommunizieren, was sie etwa zum Thema Umwelt- und Artenschutz schon längst beitrügen. «Wir machen schon viele Dinge, aber wir fanden das selbstverständlich - und sind nicht jeden Tag auf den Marktplatz gegangen, um darüber zu berichten.»

Auf der anderen Seite herrschten in der Gesellschaft oftmals zu romantische Vorstellungen von der Landwirtschaft. «Eine ganz gravierende Wissenslücke ist zum Beispiel, dass im biologischen Anbau genauso Pflanzenschutz betrieben wird», sagt Megerle. Ohne diesen gebe es aber auch keine gesunden Erzeugnisse. «Man kann heute nicht mehr so produzieren, dass man mal schaut, was am Ende des Jahres rauskommt.» Jeder Betrieb sei auch ein Wirtschaftsbetrieb, der seine Mitarbeiter und die Fixkosten bezahlen müsse.

Wie schwierig die Lage der Branche ist, beschrieb Hiltrud Nieberg vom bundeseigenen Thünen-Institut vor einigen Tagen beim Agrarkongress in Berlin: In den vergangenen 20 Jahren habe ein Viertel der Betriebe in Deutschland geschlossen, seit sechs Jahrzehnten sinke die Zahl der Höfe kontinuierlich. Das sei jedoch unabhängig von der deutschen Agrarpolitik geschehen, denn es gebe globale Treiber - die technische Entwicklung und steigende Produktivität, relativ geringe Einkommen in der Landwirtschaft und gute Alternativen außerhalb dieser Branche.

In Baden-Württemberg gab es nach Zahlen des Statistischen Landesamtes im Jahr 2010 noch 44.512 Betriebe. Bei der aktuellsten Erfassung 2016 waren es 40.500. Zum Vergleich: Vor rund 20 Jahren wurden 70.600 Betriebe (2001) gezählt.

Allerdings weisen die Statistiker darauf hin, dass man die Daten nur eingeschränkt vergleichen kann, da es mehrfach Anhebungen etwa der Erfassungsgrenzen gab. So werden beispielsweise seit 2010 nur noch landwirtschaftliche Betriebe aufgenommen, die beispielsweise mindestens fünf Hektar Fläche nutzen.

Karl Megerle bemerkt in seiner Region am Bodensee vor allem einen Rückgang der Ausbildungszahlen. Die Landwirtschaft werde derzeit pauschal für viele Dinge verantwortlich gemacht. Zudem seien vor allem Obstbaubetriebe wirtschaftlich unter Druck. «Die Betriebe haben riesige Probleme», sagt der 62-Jährige. «Und das spiegelt sich in den Ausbildungsstellen wider, es sind nur noch ganz wenige, die das gerade machen. Das sind natürlich Alarmzeichen.»

Seine eigenen Kinder - ein Sohn und eine Tochter - arbeiten ebenfalls im Familienbetrieb mit. Sein Sohn ist gelernter Weinbautechniker. «Da brennt das Feuer und er hat Lust darauf. Trotzdem macht er sich Gedanken, ob er das Richtige gemacht hat und sein Beruf eine Zukunft hat», sagt Megerle. «Ich finde es zurzeit nicht einfach, darauf eine Antwort zu geben.»
dpa/lsw
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