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22.08.2022 | 01:21 | Rettungsschirm 

Gasumlage und Steuersenkung ernten Kritik

Berlin - Die Kritik an der Gasumlage und der gleichzeitig geplanten Mehrwertsteuersenkung auf Gas will nicht abreißen: Sozial ungerecht, teilweise unausgegoren, klimapolitisch zweifelhaft, so lauten die Vorwürfe.

Energieversorgung
Gas könnte noch teurer werden, falls Russland gar nicht mehr liefert. Die Regierung will gegensteuern, doch bereits vorgesehene Maßnahmen wie Gasumlage und Steuersenkung stehen in der Kritik. Die Industrie malt Schreckensszenarien an die Wand. Zu Recht? (c) proplanta
Der Bund sollte nach Ansicht des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil besser einen Rettungsschirm für die Energiebranche aufspannen.

«Ich bin mir sehr sicher, dass wir einen staatlichen Schutzschirm nicht nur für Stadtwerke, sondern insgesamt für die Energiewirtschaft brauchen», sagte der SPD-Politiker am Wochenende der Funke Mediengruppe. Weil verwies auf die Erfahrungen aus der Finanzkrise. «In der Bankenkrise haben wir gut daran getan, einen Staat zu haben, der massiv interveniert.» Dieselbe Erfahrung habe man in der Pandemie gemacht.

Unterstützung kam vom Deutschen Mieterbund. «Ich verstehe die ganze Gasumlage überhaupt nicht», sagte Verbandspräsident Lukas Siebenkotten in einer Diskussionsrunde zum Tag der offenen Tür der Bundesregierung in Berlin. Bei der Umlage gehe es ja letztlich darum, Unternehmen zu retten. Dies könnte man, genau wie bei der Bankenkrise von 2008, direkt machen, sagte der Mieterbund-Chef. «Da muss man nicht diesen seltsamen Umweg über die Verbraucher gehen und denen dann hinterher erzählen, «aber wir senken jetzt dafür dann die Mehrwertsteuer».

Mit der Gasumlage in Höhe von rund 2,4 Cent je Kilowattstunde können ab Oktober wegen der starken Drosselung russischer Lieferungen deutlich erhöhte Beschaffungskosten an die Verbraucher weitergeben werden. Mit 7 Prozent Mehrwertsteuer sind es 2,588 Cent. Die Bundesregierung will damit Insolvenzen und einen Zusammenbruch der Energieversorgung verhindern. Als Entlastung vorgesehen ist eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Erdgas von 19 auf 7 Prozent.

Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, bezeichnete das Vorhaben der Bundesregierung als nicht zielführend. «Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas ist der falsche Weg, weil damit der Gaspreis abgesenkt wird und damit die dringend notwendige Einsparung von Gas konterkariert wird», sagte der Klimaökonom.

Vor allem Menschen mit kleinen Einkommen müssten von hohen Gaspreisen entlastet werden. «Sehr viel sinnvoller sind Direktzahlungen», sagte Edenhofer. Die Bundesregierung sollte jetzt einen Kanal aufbauen, um eine Direktzahlung an Bürger zu ermöglichen.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Sepp Müller, nannte die angekündigte Mehrwertsteuersenkung auf Gas «hochgradig unsozial». Sie entlaste vor allem große Gas-Verbraucher, sagte der CDU-Politiker der Funke Mediengruppe. Er schlug stattdessen einen «Gasbasispreis» vor. Dabei würde ein Durchschnittsverbrauch zum aktuellen Preis bezahlt. Alles darüber sollte mehr kosten.

Die Linke forderte, alle Unternehmen zu nennen, die die Gasumlage erhalten sollen. «Wenn die Gasumlage ungeprüft von jedem Versorger erhoben werden kann, auch wenn keine wirtschaftliche Not vorliegt, wäre das in keiner Weise hinnehmbar», sagte der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch. Versorger hätten in den letzten Monaten auch von gestiegenen Preisen profitiert und seien keinesfalls pauschal in Not.

Weil Russland nur noch einen Bruchteil der vereinbarten Gasmengen nach Deutschland liefert, sind Importeure in Schieflage geraten. Und die Situation dürfte nicht besser werden: Gazprom wird Gaslieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1 Ende des Monats für drei Tage unterbrechen. Das hat der Staatskonzern am Freitagabend angekündigt. Vom 31. August bis 2. September werde wegen Wartungsarbeiten - so die offizielle Begründung - gar kein Gas nach Deutschland fließen.

Der Bund hat bereits den Energiekonzern Uniper mit Milliardenhilfen gerettet. Zudem sollen Importeure von der Gasumlage profitieren, um sich auf dem Markt teureres Gas als Ersatz für ausbleibende russische Lieferungen kaufen zu können. Dem Bundeswirtschaftsministerium zufolge kommen insgesamt elf Gasimporteure in den Genuss der Umlage. Bekannt ist, dass etwa Uniper und die EnBW-Tochter VNG darunter sind. Eine Liste wurde bisher nicht veröffentlicht.

Industrieverbände hatten Alarm geschlagen: Unternehmen müssten wie Privathaushalte die Gasumlage zahlen, hätten aber nichts von der Mehrwertsteuersenkung. Die Steuer sei ein Durchlaufposten. Eine Studie des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) ergab nun, dass Gasverbraucher in der Industrie bislang von weitreichenden Steuervergünstigungen profitieren. Demnach erhielten Unternehmen im vergangenen Jahr Vergünstigungen für 447 Terrawattstunden in Höhe von 2,1 Milliarden Euro, und zwar in in Form von Steuernachlässen und -subventionen. 44 Prozent des deutschen Gasverbrauchs im vorigen Jahr waren demnach steuerlich begünstigt, wie das IW vorrechnete.

Das hat mit der eigentlich für Gas vorgesehenen Rolle bei der Energiewende zu tun. Bis zum Angriff Russlands auf die Ukraine Ende Februar galt der Energieträger als Brücke hin zu mehr Klimaschutz.

Aus heutiger Sicht seien diese Vorteile ein zweischneidiges Schwert, merken die Autoren der Analyse an. «Vor allem muss der Großteil der Vergünstigungen, der beim Verbrauch von Gas für die Stromerzeugung anfällt, in Zeiten von Gasmangel überdacht werden.»
dpa
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