Wenn Insekten Blumen und Nutzpflanzen nicht mehr bestäuben, nicht mehr fressen und gefressen werden, gerät das gesamte
Ökosystem aus dem Gleichgewicht. Artenschützer warnen vor einem «stummen Frühling», Autofahrer fragen sich, ob früher nicht mehr Mücken an der Windschutzscheibe klebten.
Das Bundeskabinett hat nun einen Plan beschlossen, der das «Insektensterben» stoppen soll. Zu einem großen Agrar-Umwelt-Paket gehört auch ein Tierwohl-Logo.
Es müsse wieder «mehr summen und brummen», sagt Umweltministerin Svenja Schulze (
SPD) am Mittwoch in Berlin Seite an Seite mit ihrer Agrarkollegin Julia Klöckner (CDU). Dass nun alles auf einen Schlag kommt, war kein Zufall: Vorausgegangen war ein eineinhalbjähriger Streit zwischen den Ministerinnen.
Denn intensive Landwirtschaft mit Unkraut- und Schädlingsgiften gilt als eine Hauptursache dafür, dass die Zahl der Insekten zurückgeht. Und Glyphosat, der umstrittene «Unkrautkiller», ist zu einer Art Sinnbild der Kritiker geworden.
Dem setzt die Regierung jetzt ein «Aktionsprogramm Insektenschutz» entgegen. «Es geht nicht nur um Glyphosat», sagt Schulze. «Wir müssen insgesamt weniger Pflanzengift einsetzen.» Der mehr als 60 Seiten dicke Katalog umfasst dafür einen Strauß von Verboten, Geboten und Ideen - die aber erst in Gesetze und Verordnungen münden müssen.
Die wichtigsten: Ende 2023, am 31. Dezember, soll mit
Glyphosat in Deutschland endgültig Schluss sein. Dann läuft die EU-Genehmigung samt
Übergangsfrist aus. Dass sie doch noch mal verlängert werden könnte, glauben die Ministerinnen nicht. Politisch sei das «ein totes Pferd», formuliert es Klöckner. Schon ab 2020 sollen Beschränkungen greifen, darunter Verbote für private Gärten und Parks und auch Beschränkungen für die Bauern.
Insekten sollen überhaupt mehr Rückzugsräume bekommen. Dafür sollen etwa in Naturschutzgebieten und Nationalparks Unkraut- und bestimmte Schädlingsgifte ab 2021 grundsätzlich tabu sein. Wenn
Bauern auf Feldern Wirkstoffe sprühen, die der Bio-Vielfalt schaden, sollen sie anderswo für Ausgleich sorgen.
Streuobstflächen, artenreiche
Wiesen und Weiden sowie Mauern und Wälle aus losen Steinen sollen geschützt werden, weil Insekten dort besonders gut leben können. Auch insektenschädliche «Lichtverschmutzung» will die Regierung eindämmen und 100 Millionen Euro extra im Jahr in Schutz und Forschung stecken.
Die Verbraucher könnten ebenfalls Einfluss auf die Art und Weise nehmen, wie Landwirtschaft arbeitet - doch woran könnte man zum Beispiel beim Schnitzel-Kauf erkennen, dass es das Schwein einmal besser hatte? Nach langen Debatten hat das Kabinett ein Gesetz für ein staatliches Logo auf den Weg gebracht, das von der Geburt bis zur Schlachtung Haltungsstandards über den gesetzlichen Pflichten garantieren soll.
Der Kern ist aber weiter umstritten, auch wenn Schulze dem Paket im Kabinett zustimmte: Mitmachen sollen Bauern auf freiwilliger Basis - und dann müssen sie verbindliche Kriterien einhalten. Der SPD reicht das aber nicht. «Ohne eine Verpflichtung wird es kein Label geben», droht Fraktionsvize Matthias Miersch. Klöckner mahnt, Eine Verpflichtung höre sich gut an, schiebe aber mehr
Tierwohl auf die lange Bank. Denn auf dem gemeinsamen EU-Markt sei ein nationaler Alleingang wenig erfolgversprechend - siehe die geplatzte Pkw-Maut.
Vielmehr gehe es wie beim Bio-Siegel darum, höhere Standards auf der Packung hervorzuheben. Das Logo soll es in drei Stufen geben. Die genauen Kriterien stehen aber nicht im Gesetz, sondern sollen noch in einer
Verordnung folgen. Einen Aufschlag dafür hat Klöckner schon gemacht: In der ersten Stufe sollen Schweine zum Beispiel 20 Prozent mehr Platz im Stall haben als vorgeschrieben. Das bedeutet für ein Tier mit 50 bis 110 Kilogramm 0,9 statt 0,75 Quadratmeter.
Weitere Vorgaben beziehen sich auf Beschäftigungsmaterial und Auslauf im Stall. Transporte zum
Schlachthof dürfen höchstens acht Stunden dauern - statt zulässiger bis zu 24 Stunden. Bei den Kriterien soll aber auch noch das Umweltressort ein Wörtchen mitreden.
Das Echo bei den Landwirten muss sich zeigen - die erste Reaktion fällt kühl aus. Das Label «wird vom Markt nicht angenommen werden», kommentierte
Bauernpräsident Joachim Rukwied. Zählen dürfte auch, wie verlässlich Höfe mit mehr Geld rechnen können, die in mehr Tierschutz investieren. Ein fester Fonds, wie ihn große Handelsketten bei einer existierenden Tierwohl-Initiative der Branche speisen, ist nicht vorgesehen.
Klöckner verweist auf eine 70-Millionen-Euro-Kampagne, die das Logo allgemein bekannt machen soll. Vorgesehen seien auch Zuschüsse für Stall-Umbauten - die seien für die erste Logo-Stufe aber noch nicht nötig, die eher weniger Tiere im Stall bedeutete.
Verbraucher- und Tierschützern gehen die Pläne nicht weit genug. Die Organisation
Foodwatch forderte erneut gesetzliche Vorgaben für die Tiergesundheit: «Ein Label, das nur kennzeichnet, ob die Tiere ein paar Zentimeter mehr Platz, Einstreu oder vielleicht Auslauf erhalten, ist staatlicher Tierschutzschwindel.»