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20.12.2020 | 10:00 | LsV-Forderungen 
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Höhere Erzeugerpreise - aber wie?

Berlin - Die Verständigung von Land-schafft-Verbindung (LsV) und Vertretern des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) auf gemeinsame Ziele von Landwirten und Handelsunternehmen hat in Politik, Verbänden und Wissenschaft unterschiedliche Reaktionen ausgelöst.

Höhere Erzeugerpreise
(c) proplanta
Der Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen für Agrarpolitik, Friedrich Ostendorff, warnte davor, die Einigung überzubewerten. „Allein mit freiwilligen Vereinbarungen zwischen Handel und Landwirtschaft ist den Bauern nicht geholfen, weil direkte Beziehungen zwischen Bauern und Handel die Ausnahme sind“, erklärte Ostendorff in Berlin.

Der Göttinger Agrarökonom Prof. Achim Spiller hatte bereits im Vorfeld die Sinnhaftigkeit einiger LsV-Forderungen bezweifelt. Dies gelte beispielsweise für eine Ombudsstelle, eine Imagekampagne für die deutsche Landwirtschaft oder auch die Kennzeichnung am Produkt, welcher Anteil des Verkaufspreises an den Erzeuger gehe.

Unterdessen mahnte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, gemeinsame Anstrengungen der Beteiligten in der Wertschöpfungskette für verbesserte Erlöse der Landwirte an. „Es sollte allen in der Lieferkette klar sein, dass der erzielte Mehrwert direkt an die Bauern weitergegeben werden muss“, erklärte der DBV-Präsident vergangene Woche in Berlin.

Zurückhaltend äußerte sich Rukwied zur Bereitschaft einzelner Unternehmen, Aufschläge auf Verbraucherpreise von Fleischerzeugnissen an die Erzeuger weiterzugeben: „Kurzlebige Ankündigungen einzelner Unternehmen mit sehr unterschiedlichen Ansätzen sind ein Zeichen des guten Willens, aber bieten keine dauerhafte Perspektive“, gab der Bauernpräsident zu bedenken.

Der Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), Franz-Josef Holzenkamp, sprach sich für eine verstärkte Kommunikation der heimischen Agrarbranche aus.

Proteste zeigen Wirkung

Das gemeinsame Papier von LsV und Handel ist nach wochenlangen Protestaktionen von Landwirten gegen Einrichtungen von Handelsunternehmen zustande gekommen. Insbesondere wurden bundesweit wiederholt Auslieferungslager blockiert. Zuletzt hatte LsV mit einem Ultimatum den Druck auf den Lebensmitteleinelhandel erhöht.

Dem nunmehr vorgelegten Papier zufolge streben beide Seiten eine Herkunftskennzeichnung für heimische Produkte an. Der LEH sichert darin zu, die Leistungen der hiesigen Landwirtschaft in seinen Werbeaktivitäten besonders herauszustellen. Gemeinsam will man Konzepte erarbeiten, um in den Bereichen Schweinefleisch und Milch eine angemessene Honorierung der Landwirte für die Einhaltung höherer Standards zu gewährleisten. Schließlich soll eine Ombudsstelle dafür sorgen, dass mögliche Konflikte zwischen Landwirtschaft und LEH nicht eskalieren, sondern frühzeitig gelöst werden.

Ombudsstelle weitestgehend wirkungslos

Grünen-Agrarsprecher Ostendorff nannte die angestrebte Einrichtung einer Ombudsstelle für weitestgehend wirkungslos: „Die Versprechen des Handels werden so schnell wieder verpuffen, wie sie entstanden sind“, warnte Ostendorff. Das Einzige, was den Handel momentan interessiere, sei das bevorstehende Weihnachtsgeschäft, das keinesfalls durch rollende Traktoren gestört werden dürfe.

„Die Gespräche über unfaire Geschäftsbeziehungen bei der Lebensmittelherstellung müssen endlich ehrlich werden“, so der Parlamentarier. Das treffe besonders auf die Hauptabnehmer landwirtschaftlicher Produkte zu: „Gerade dort, bei den oftmals genossenschaftlich organisierten Molkerei- und Schlachtunternehmen, liegt doch der Hund begraben, wenn wir über unfaire Geschäftsbeziehungen gegenüber Bäuerinnen und Bauern sprechen.“ Deshalb müsse man insbesondere das Geschäftsgebaren großer Genossenschaften im Agrarbereich kritisch hinterfragen.

Deutliche Auswirkungen hat die Vereinbarung zwischen LsV und LEH nach Einschätzung Ostendorffs auf die Arbeit der landwirtschaftlichen Interessenvertretung. Spätestens jetzt müsse sich der Deutsche Bauernverband fragen lassen, „ob sein Schmusekurs mit der Verarbeitungsindustrie überhaupt noch die Interessen der eigenen Mitglieder abbildet“.

Dem Grünen-Abgeordneten zufolge ist der Alleinvertretungsanspruch des DBV offenbar hinfällig. Viele Bäuerinnen und Bauern hätten dem Verband eine Absage erteilt und nähmen ihr Schicksal nun selbst in die Hand.

Preisaufschläge „richtig und wichtig“

Rukwied hatte zuvor angemahnt, dass die von einigen Handelsunternehmen in Aussicht gestellte höhere Vergütung von Herkunft und Produktstandards den Bauern auch zugutekommen müsse. Beispielsweise erwarte man beim Schlachtschweinepreis kurzfristig „einen deutlichen Sprung nach oben“. Darüber hinaus brauche man langfristig belastbare Lösungen.

Rewe hatte Ende vorvergangener Woche angekündigt, den Schweinebauern in Deutschland ab sofort Mindestpreise zu zahlen. Zuvor hatte bereits Lidl kurzfristig die Preise für hiesiges Schweinefleisch erhöht. Zudem hatte das Unternehmen angekündigt, zusätzlich 50 Mio. Euro für die Initiative Tierwohl (ITW) zur Verfügung zu stellen.

Rukwied rief andere Lebensmittelhändler dazu auf, diesen Beispielen zu folgen. Ähnlich äußerte sich der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV). Dessen Präsident Hubertus Beringmeier nannte die Entscheidung von Lidl, beim Verkauf von zehn Schweinefleischprodukten von den Verbrauchern einen Zuschlag von 1 Euro/kg zugunsten der Erzeuger zu erheben „richtig und wichtig, um die Folgen des massiven Preisverfalls zumindest etwas abzufedern“.

Nunmehr müsse dieses Modell vom gesamten Lebensmitteleinzelhandel übernommen und zudem für die gleichfalls betroffenen Rindermäster und Milcherzeuger umgesetzt werden.

Branchenkommunikation Milch als positives Beispiel

Es sei wichtig, „Verbraucher für heimische Lebensmittel zu begeistern und sie über die Besonderheiten der deutschen Landwirtschaft zu informieren“, sagte Verbandspräsident Holzenkamp auf der in der vergangenen Woche erstmals ausschließlich digital durchgeführten DRV-Mitgliederversammlung. Es gebe „zu viel Unwissen, das zu Vorurteilen führt“.

Der Raiffeisenpräsident verwies auf viele gute Initiativen, die bereits auf den Weg gebracht worden seien. Jüngstes Beispiel sei die Branchenkommunikation Milch. „Diese Aktivitäten sollten gestärkt werden“, erklärte Holzenkamp. Ausdrücklich betonte der DRV-Präsident die besondere Verantwortung des Lebensmitteleinzelhandels bei der Bewältigung der Corona- Krise: „Insbesondere die großen Handelsketten müssen ihre Rolle annehmen und zu Partnern der landwirtschaftlichen Erzeuger werden.“

Gut gewappnet

Trotz der derzeit dramatischen Situation auf dem Schweinemarkt sieht der DRV seine Mitgliedsunternehmen gut gewappnet, die Corona-Krise zu überstehen. Die genossenschaftlich orientierten Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft seien im Vergleich zu anderen Teilen der Wirtschaft bislang insgesamt gut mit den Folgen der Pandemie zurechtgekommen, so Holzenkamp. Die Raiffeisengenossenschaften hätten sich „in der Krise bewährt und ihre Systemrelevanz unter Beweis gestellt“.

Der DRV-Präsident wies zugleich darauf hin, dass die Pandemie die rund 2.000 Raiffeisengenossenschaften unterschiedlich getroffen habe, je nachdem, auf welche Geschäftsfelder sie spezialisiert seien. „Stärker getroffen sind Unternehmen, für die die Gastronomie ein wichtiger Kunde ist“, erläuterte Holzenkamp. Das gelte unter anderem im Bereich Wein, aber auch für Kartoffeln sowie Milch und Milchprodukte.

Verweis auf CMA

Demgegenüber setzen sich die Göttinger Agrarökonomen Spiller und Dr. Gesa Busch kritisch mit den Forderungen nach einer gemeinsamen Kommunikation der deutschen Landwirtschaft auseinander. In einem Beitrag gehen die Wissenschaftler auf Distanz zum diskutierten Aufbau einer Nachfolgeorganisation für die frühere Centrale Marketinggesellschaft der Deutschen Agrarwirtschaft (CMA).

Spiller und Busch weisen darauf hin, dass die Interessen der hiesigen Landwirtschaft nicht homogen seien. Wenn man beispielsweise eine Imagekampagne zur aktuellen Tierhaltung in Deutschland nach dem Motto „alles ist gut“ fahren wolle, werde dies weder Biobauern begeistern noch Landwirte, die in Tierwohl investierten. „Genau an dieser zunehmenden Interessenheterogenität ist die CMA gescheitert“, so die Wissenschaftler.

Positive Effekte können nach ihrer Auffassung hingegen mit einer verpflichtenden Herkunftskennzeichnung verbunden sein. Voraussetzung sei aber die Überzeugung der Verbraucher, „dass die heimischen Produkte besser sind, also leckerer schmecken, tierfreundlicher sind oder umwelt- und klimaverträglicher angebaut wurden“.

Für viele Menschen seien das mindestens ebenso wichtige Aspekte für ihre Einkaufsentscheidungwie die Unterstützung der heimischen Betriebe. Gerade die landwirtschaftlichen Interessenverbände hätten sich bisher abermit einer transparenten Kennzeichnung im Hinblick auf den Umwelt-, Klima-, und Tierschutz sehr schwer getan, monieren Spiller und Busch. Eine „halbe Transparenz“ werde man jedoch politisch kaum durchsetzen können. Sie wäre aus ihrer Sicht auch nicht glaubwürdig.

Schnapsidee

Für eine „Schnapsidee“ halten die Göttinger Wissenschaftler Forderungen nach einer Kennzeichnung am Produkt, welcher Anteil des Verkaufspreises beim Landwirt ankomme. Dies sei zwar „nett gemeint“, als Standard für alle Produkte aber kaum durchzuführen. Aussagen, man müsse beispielsweise bei Milchprodukten nur den Einkaufspreis der Händler kennen, sind aus Sicht der Göttinger Forscher naiv: Der Einkaufspreis sei „das am besten gehütete Geheimnis in der Branche“, da er „extrem wettbewerbsrelevant“ sei. Zudem lasse sich der Erzeugeranteil über verschiedene Produkte mit unterschiedlichem Verarbeitungsgrad hinweg gar nicht vergleichen.
AgE
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Kommentare 
maximilian schrieb am 22.12.2020 20:02 Uhrzustimmen(3) widersprechen(4)
Lieber Herr Holzenkamp,
die Videos aus schweinehaltenden Betrieben in Wietmarschen, Niedersachsen und aus Merzen, Niedersachsen, die derzeit die Runde machen können mich Alles andere als für die heimische konventionelle Landwirtschaft begeistern.
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