Der Präsident der Fachkommission Wein bei der Agrarbehörde FranceAgriMer, Jérôme Despey, veranschlagte die Einbußen für die
Winzer bei einem Krisentreffen mit
Landwirtschaftsminister Julien Denormandie am Montag (12.4.) auf mindestens 2 Mrd Euro. Die kommende Ernte werde um ein Drittel kleiner ausfallen, die
Frostschäden seien schlimmer als im Jahr 2017.
Medienberichten zufolge hat der Kälteeinbruch die Reben in der besonders sensiblen Austriebsphase getroffen. Despey forderte die Regierung auf, den Betroffenen auch mit Steuer- und Abgabenbefreiungen sowie Zahlungsaufschüben bei Verbindlichkeiten unter die Arme zu greifen. Zudem müssten die Beihilfen für die Private
Lagerhaltung (PLH) verlängert werden. Spürbare Einbußen zeichnen sich auch in der
Zuckerproduktion ab.
Laut dem Verband der Rübenerzeuger (CGB) wurden mehr als 10 % der Bestände durch den Frost zerstört; betroffen seien zwischen 30.000 ha und 55.000 ha Zuckerrüben in den Regionen, die im vergangenen Jahr bereits besonders stark unter den Vergilbungsviren gelitten hätten. Auch der CGB ersuchte die Regierung um Unterstützung. Die betroffenen Landwirte müssten mit zusätzlichen Kosten von mehr als 600 Euro pro Hektar rechnen.
Erschwerend komme hinzu, dass das Saatgut für die
Nachsaat nicht mit neonikotinoiden Wirkstoffen behandelt werden dürfe. Die diesjährige Zuckerproduktion wäre in Frankreich auch ohne den Frost voraussichtlich gesunken. Laut dem Statistischen Dienst beim Pariser
Landwirtschaftsministerium (Agreste) wurde die Rübenfläche gegenüber 2020 um 5,9 % auf 396.000 ha verkleinert. Premierminister Jean Castex bekräftigte unterdessen die Pläne der Regierung, zusätzlich zu den Mechanismen für Naturkatastrophen einen gesonderten Entschädigungsfonds aufzulegen. Er stellte schnelle Hilfe in Aussicht, außerdem will die Regierung die Obergrenze für Entschädigungen bei Naturkatastrophen aufheben.
Auch die Banken sind gefragtDer französische
Bauernverband (FNSEA) und die Organisation der
Junglandwirte (JA) riefen das ganze Land zur Solidarität auf. An die Regierung richteten die Verbände die Forderung, sich nicht von europäischen Vorschriften bremsen zu lassen. Alle verfügbaren Instrumente müssten mobilisiert werden.
FNSEA und JA pochen zudem auf eine staatliche Unterstützung bei der Risikoabsicherung.
FNSEA-Präsidentin Christiane Lambert erklärte, sie habe mit den Verantwortlichen der großen Einzelhandelsunternehmen Kontakt aufgenommen und um Unterstützung für die französischen
Obstbauern gebeten. Nach Angaben des Pariser Landwirtschaftsministeriums haben die Frosteinbrüche mehrere hunderttausend Hektar Anbaufläche im Wein- und Obstbau sowie
Ackerkulturen in zehn von 13 Regionen in Mitleidenschaft gezogen.
Denormandie sich bereits unmittelbar nach den ersten Frostereignissen mit dem Präsidenten des französischen Versicherungsverbandes (FFA), um deren „vollständige Mobilisierung“ sicherzustellen. Auch den Banken werde eine Schlüsselrolle zukommen, hieß es. Der Minister sprach sich dafür aus, landwirtschaftliche Klimaversicherungen durch die öffentliche Hand zu unterstützen. Die bestehenden Mechanismen seien unzureichend; das Risiko sei für die Versicherer nicht mehr zu stemmen, sagte Denormandie.
Winzer überwiegend nicht versichertLaut dem kleineren Landwirtschaftsverband Coordination Rurale (CR) haben 70 % der französischen Weinberge Frostschäden erlitten; zugleich seien nur 15 % der Winzer gegen Kälteeinbrüche versichert. Im
Ackerbau würden die Versicherungen nur die Kosten für das Saatgut ersetzen, was aber die Auswirkungen einer verspäteten Nachsaat nur unzureichend kompensiere.
Der Verband forderte, die Gelder für die
Entschädigung bei Naturkatastrophen massiv aufzustocken und Soforthilfen freizugeben. Unterstützung für die Landwirte kam derweil auch von den Gebietskörperschaften. Mehrere Regionen legten Soforthilfen auf. In Okzitanien sollen für die Betroffenen 5 Mio Euro bereitgestellt werden, in Provence-Alpes-Côte-d’Azur (PACA) 3 Mio Euro. In Auvergne-Rhône-Alpes wurden 15 Mio. Euro in Aussicht gestellt.
Aprikosen und Pfirsiche schweren getroffenKräftige
Ernteeinbußen werden auch für Aprikosen und Pfirsiche erwartet. Nach Angaben von Erzeugerverbänden wird die Produktion in diesem Jahr voraussichtlich um 60 % beziehungsweise 40 % gegenüber 2020 sinken. Im Tal der Rhône, wo 45 % der französischen Aprikosen erzeugt werden, würden die Ernteeinbußen auf 80 % veranschlagt. Bei Pfirsichen sei zudem mit erheblichen Qualitätseinbußen zu rechnen.
Der Zuckerhersteller Cristal Union kündigte derweil an, seinen Rübenlieferanten Saatgut für den Ausgleich der Frostschäden kostenlos zur Verfügung zu stellen. Unternehmensangaben zufolge könnten insgesamt etwa 15.000 ha der Lieferanten in sämtlichen Anbaugebieten betroffen sein, vor allem in der Region südlich von Paris. Auch die
Rapsernte 2021 dürfte durch den Frost noch weiter geschmälert worden sein.
Wie auch bei den
Rüben hatten die Landwirte die Aussaatfläche im Vergleich zum Vorjahr deutlich verkleinert, und zwar laut Agreste um 11,1 % auf 990.000 ha. Der
Kartoffelanbau dürfte ebenfalls zurückgehen, wenn auch weniger drastisch. Die Statistiker erwarten für Stärkekartoffeln eine Verringerung der Anbaufläche um 0,9 % auf 23.000 ha; mit
Speisekartoffeln inklusive Lagerware sollen 148.000 ha und damit 6,7 % weniger als 2020 bestellt werden.
Frostschäden in HessenAuch in Deutschland und Italien hat der Kälteeinbruch Spuren hinterlassen. Wie der Verband der Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauer berichtete, sind im Verbandsgebiet mindestens 10 % der Rüben erfroren. In der vergangenen Woche seien die Temperaturen erneut vielerorts unter null gefallen; die größten Schäden seien im Wonnegau, Zellertal, dem südlichen Rheinhessen und Südhessen zu beobachten. Der Verband rechnet damit, dass die Schäden größer ausfallen als viele Landwirte derzeit glauben. Die Pflanzen erschienen oberirdisch noch unauffällig, würden aber in wenigen Tagen absterben.
In Italien werden in den am härtesten getroffenen Regionen Medienberichten zufolge Ernteeinbußen von 75 % erwartet. Mit massiven Schäden werde unter anderem für den
Obstanbau in der Emilia-Romagna gerechnet. Im Piemont veranschlagte die regionale Zweigstelle des Landwirtschaftsverbandes der großen
Betriebe (Confagricoltura) die Schäden auf 18 Mio. Euro, vorwiegend im Weinbau.
Im Einzugsgebiet Roms wurden laut dem mitgliederstärksten Landwirtschaftsverband (Coldiretti) starke Schäden an Kiwi, Wein, Zucchini,
Kartoffel, Aubergine und Tomate beobachtet. Der Landwirtschaftsverband Cia appelliert an die Regierung, in den betroffenen Regionen den Notstand auszurufen und zeitnah Entschädigungen zu zahlen.
Nachhaltigkeit im Weinbau stärkenDie Vereinigung der Weinregionen Europas (AREV) forderte unterdessen die Europäische Union auf, im Rahmen der Reform der Gemeinsamen
Agrarpolitik (GAP) der Weinwirtschaft verstärkt unter die Arme zu greifen.
GAP, Green Deal und das
Konjunkturprogramm müssten die
Nachhaltigkeit im Weinanbau stärken. Laut AREV haben Temperaturen von bis zu minus 9 Grad schwere Schäden an den Reben vor allem in Frankreich, Deutschland, Österreich, Belgien, Luxemburg, Slowenien sowie im Norden Italiens angerichtet.