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30.10.2022 | 10:31 | Fleischproduktion 
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Ruf nach Unterstützung für krisengebeutelte Schweinehalter

Essenbach - Als „Strukturbruch“ hat der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, die vielen aktuellen und geplanten Betriebsaufgaben in der heimischen Tierhaltung und insbesondere in der Schweinebranche bezeichnet.

Schweinehaltung
Rukwied: Umbau der Tierhaltung durch langfristige Verträge sichern - Scharfe Kritik am Entwurf zur Haltungskennzeichnung - Handwerklich erhebliche Schwächen - Felßner: Strukturbruch in der Schweinehaltung schon heute bittere Realität - Borchert-Plan sollte umgesetzt werden - Hortmann-Scholten beklagt Wettbewerbsverlust der deutschen Schweinehalter. (c) proplanta
Angesichts dieser dramatischen Lage sei die Politik aufgefordert, alles dafür zu tun, um die Schweinehalter zu unterstützen: „Nahezu täglich steigen Betriebe aus der Schweinehaltung aus. Kaum einer investiert noch in neue Ställe. Deshalb brauchen unsere Schweinehalter jetzt dringend Zukunftsperspektiven“, betonte Rukwied am Dienstag (25.10.) auf dem DBV-Veredlungstag im bayerischen Essenbach.

Der Umbau der Tierhaltung müsse zwingend durch langfristige Verträge gesichert werden, und auf die Haltungskennzeichnung müsse zwingend auch eine Herkunftskennzeichnung folgen. „Sonst kommen wir beim Tierwohl nicht voran, und die Schweinehaltung wird noch weiter ins Ausland verlagert“, warnte der DBV-Präsident. Er hob hervor, dass die Landwirte ein klares Bekenntnis zur Weiterentwicklung der Tierhaltung abgegeben hätten: „Wir haben unseren Teil gemacht; jetzt muss Bundeslandwirtschaftsmister Cem Özdemir liefern“. Dies tue er aber nur in Teilen.

Es gelte nun, insbesondere bei der Haltungskennzeichnung qualitativ nachzubessern und frisches Geld zu Verfügung zu stellen. Zudem müsse sich die Politik auf allen Ebenen für den Kauf von heimischen Produkten und Fleisch einsetzen, forderte Rukwied. Aber auch der Handel und die Verbraucher seien aufgerufen, mit dem Griff zur Inlandsware die Landwirte zu unterstützen.

Einladung zur Täuschung



DBV-Veredlungspräsident Hubertus Beringmeier kritisierte den aktuellen Gesetzentwurf zur Haltungskennzeichnung scharf. Dieser weise handwerklich erhebliche Schwächen auf, mit denen die angestrebte Wirkung nicht nur verfehlt, sondern in Teilen sogar konterkariert werde. Beispielsweise sei die Sauenhaltung gar nicht berücksichtigt. So könnten Schweine und Schweinefleisch mit anderen Standards aus dem Ausland in den heimischen Markt importiert werden und würden das Tierwohllabel erhalten.

„Das ist eine Einladung zur Verbrauchertäuschung“, brachte es Beringmeier auf den Punkt. Daher müsse der Entwurf jetzt im parlamentarischen Verfahren deutlich nachgebessert werden. Darüber hinaus entstehe mit der Neuregelung eine erhebliche bürokratische Mehrbelastung, weil weder ein Anschluss an vorhandene amtliche Meldesysteme noch an private Qualitätssicherungssysteme hergestellt werden solle.

Nach Ansicht von Beringmeier ist außerdem der Anwendungsbereich nicht weitreichend genug gestaltet. Dringend müssten auch der Bereich der Verarbeitungsware und neben dem Lebensmitteleinzelhandel auch Verarbeiter, Großverbraucher sowie die Gastronomie mit einbezogen werden.

Politisches Gesamtkonzept erarbeiten



Der neue Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), Günther Felßner, stellte fest, dass der Strukturbruch in der Schweinehaltung keine Sorge, sondern schon heute bittere Realität sei: „In den letzten zwölf Jahren haben wir 53 % unserer Schweinehalter verloren, und die Zahl bayerischer Schweine reduzierte sich um knapp 30 %.“

Für Felßner ist es in der Schweinehaltung daher bereits „fünf nach zwölf“. Er wolle nicht, so der BBV-Präsident, „dass wir auf dem Papier die höchsten Vorgaben dieses Planeten für die Schweinehaltung haben, aber keine Betriebe mehr, die unter diesen Vorgaben wirtschaften können und somit das Fleisch aus Drittländern importiert werden muss“.

Felßner appellierte an die Politik, endlich zu handeln und Perspektiven für die bäuerlichen Familienbetriebe zu schaffen. Es brauche ein politisches Gesamtkonzept mit einer Erhöhung des Tierwohls bei gleichzeitiger Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe, so wie es die Borchert-Kommission vorgelegt habe.

„Geld da zum Starten“



Viel Gegenwind blies auf dem Podium des Veredlungstages dem einzigen Vertreter aus der Politik entgegen. Der Leiter der Abteilung „Lebensmittelsicherheit, Tiergesundheit“ im Bundeslandwirtschaftsministerium, Prof. Markus Schick, versuchte, die Wogen zu glätten.

Er bekräftigte das klare Bekenntnis von Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir für die Tierhaltung in Deutschland und verteidigte die jüngsten politischen Entscheidungen zur Tierhaltung, insbesondere den Entwurf zur Haltungskennzeichnung. Zugleich ließ er keinen Zweifel daran, dass der Umbau in der Veredlung politisch gewollt ist: „Wir werden weniger Schweine haben; wir brauchen Veränderungen in der Tierhaltung“.

Laut Schick hat die Bundesregierung für die Tierhalter ein Paket mit verschiedenen Bausteinen geschnürt, und die Haltungskennzeichnung sei ein Teil davon. Bis einschließlich 2026 stünden 1 Mrd Euro bereit, allein 150 Mio Euro im Jahr 2023. „Es ist Geld da zum starten“, hob der Abteilungsleiter hervor. Zudem arbeite Bundesbauministerin Klara Geywitz aktuell an Änderungen im Bau- und Planungsrecht im Sinne des Tierwohls. Auch das Thema Herkunftskennzeichnung liege auf dem Tisch, so Schick. Sollte Brüssel dazu im kommenden Jahr keinen Verordnungsentwurf vorlegen, werde Deutschland eine eigene Regelung erarbeiten.

Existenzbedrohende Multikrise



„Wir haben eine existenzbedrohende Multikrise in der systemrelevanten deutschen Schweinehaltung“, diagnostizierte Dr. Albert Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen die aktuelle Lage. An die Politik richtete er den Aufruf, behutsam vorgehen und die Tierhalter nicht zu überfordern. Der Kammerexperte sieht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Tierhaltung akut massiv gefährdet. Die Kostenvorteile internationaler Wettbewerber lägen zum Teil bei 30 % bis 50 %.

Der nun angehobene Mindestlohn im „Hochkostenland Deutschland“ sei ein weiterer Faktor für die Wettbewerbsverschlechterung der deutschen Schweinebranche. Die Bundesrepublik habe mittlerweile den höchsten Mindestlohn in der gesamten Europäischen Union. „Wir sollten uns nicht noch weiter abhängig machen von Ferkelimporten aus den Niederlanden und Dänemark“, mahnte Hortmann-Scholten. Die Sauenhaltung in Deutschland sei bereits stark zurückgegangen.

Schlechtes Timing



Hinsichtlich der Haltungskennzeichnung bescheinigte der Marktexperte dem Bundeslandwirtschaftsministerium „ein schlechtes Timing“. Zwar finde der Verbraucher hohe Tierhaltungsstufen gut, sei aber nicht bereit, dafür einen Mehrpreis zu zahlen, schon gar nicht bei den aktuellen Kostensteigerungen.

„Die Moral steckt im Regal“, spitzte Hortmann-Scholten diese Einstellung zu. Auch ihm ist die Herkunftskennzeichnung ein wichtiges Anliegen. Diese müsse kommen, denn die deutschen Standards in den Systemen der Initiative Tierwohl (ITW) und der QS Qualität und Sicherheit GmbH würden von Handelsmarken mit dem Fleischeinkauf in der gesamten EU sowie Drittländern und entsprechenden Dumpingpreisen unterlaufen.

Abschließend fasste Hortmann-Scholten die Frustration vieler Tierhalter zusammen: „Der Konsum von Cannabis wird verharmlost; der Fleischverzehr wird verteufelt“. Zudem tue man dem Klimaschutz mit dem Zurückdrängen der deutschen Schweineproduktion keinen Gefallen.
AgE
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Kommentare 
Arnold Krämer schrieb am 30.10.2022 22:26 Uhrzustimmen(7) widersprechen(12)
Die( Bio-)Sektkorken knallen bei manchen NGO's, Politikern und Medienvertretern angesichts solcher Meldungen. Als nächstes nimmt man sich die Geflügelmäster vor.
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